Das Prin­zip Ver­ant­wor­tung ist das bekann­tes­te Werk von Hans Jonas. Es han­delt von einer Ethik für die tech­no­lo­gi­sche Zivi­li­sa­ti­on und Jonas ent­wi­ckelt dar­in gleich­zei­tig eine Ethik der Natur­ver­ant­wor­tung. 1979 wur­de es ver­öf­fent­licht und kann als visio­när gelten.

Das Prinzip Verantwortung

Es erscheint unglaub­lich, wie tref­fend Jonas z. B. die dro­hen­de Kli­ma­er­wär­mung skizziert:

Die Ver­bren­nung der Fos­sil­stof­fe stellt aber, jen­seits der loka­len Luft­ver­schmut­zung, noch ein glo­ba­les Wär­me­pro­blem, das in einen selt­sa­men Wett­lauf mit der Erschöp­fung der Vor­rä­te tre­ten könn­te. Es ist der »Treib­haus­ef­fekt«, der ein­tritt, wenn das bei der Ver­bren­nung gebil­de­te Koh­len­di­oxyd sich welt­weit in der Atmo­sphä­re anrei­chert und wie die Glas­wand eines Treib­hau­ses wirkt, näm­lich die Son­nen­strah­lung ein­läßt, aber die Wär­me­rück­strah­lung von der Erde nicht her­aus­läßt. Ein so ein­ge­lei­te­tes und von uns wei­ter­ge­speis­tes Anstei­gen der Welt­tem­pe­ra­tur (das von einem gewis­sen Sät­ti­gungs­grad an sogar ohne wei­te­re Ver­bren­nung fort­füh­re) könn­te zu Dau­er­fol­gen für Kli­ma und Leben füh­ren, die nie­mand will – bis zum kata­stro­pha­len Extrem von Polar­eis­schmel­ze, Stei­gen des Oze­an­spie­gels, Über­flu­tung gro­ßer Tief­land­flä­chen … So wür­de das leicht­sin­nig-fröh­li­che Men­schen­fest eini­ger indus­tri­el­ler Jahr­hun­der­te viel­leicht mit Jahr­tau­sen­den ver­än­der­ter Erden­welt bezahlt wer­den […]. (Das Prin­zip Ver­ant­wor­tung, 1979 S. 333f)

Ein Grund­ge­dan­ke von Jonas ist: „Macht im Ver­ein mit Ver­nunft führt an sich Ver­ant­wor­tung mit sich.“ (S. 248) Für den zwi­schen­mensch­li­chen Bereich war dies seit jeher plau­si­bel. Nun aber hat die Zivi­li­sa­ti­on Aus­wir­kun­gen glo­ba­len Aus­ma­ßes und ihre Macht erstreckt sich auf die Bio­sphä­re und „das künf­ti­ge Über­le­ben der Menschenart“.

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Der neue Imperativ

Jonas nimmt die prä­ze­denz­lo­se Lage der Mensch­heit, die­se erst­ma­li­ge Fähig­keit zur Selbst­ver­nich­tung – auf jeden Fall Selbst­ge­fähr­dung – zum Anlass, fol­gen­den Impe­ra­tiv zu formulieren:

»Hand­le so, daß die Wir­kun­gen dei­ner Hand­lung ver­träg­lich sind mit der Per­ma­nenz ech­ten mensch­li­chen Lebens auf Erden«; oder nega­tiv aus­ge­drückt: »Hand­le so, daß die Wir­kun­gen dei­ner Hand­lung nicht zer­stö­re­risch sind für die künf­ti­gen Mög­lich­kei­ten sol­chen Lebens«. (S. 36)

Nur weni­ge Jah­re spä­ter, ab 1982 kam die Dis­kus­si­on um den nuklea­ren Win­ter (eine Bezeich­nung von Alek­sand­rov und Sten­chi­kov 1983), auf, der im Fal­le eines Atom­krie­ges droht und tat­säch­lich die Exis­tenz der Mensch­heit infra­ge stel­len könn­te. Robok et al. haben die­se Theo­rie 2007 einer erneu­ten Prü­fung anhand moder­ner Kli­ma­mo­del­le unter­zo­gen und resü­mie­ren: „Still cata­stro­phic consequences“.

Jonas schätzt die­se Bedro­hung zwar als gra­vie­rend ein. Er weist aber dar­auf hin, dass sie sich ja nur rea­li­siert, wenn tat­säch­lich Ver­ant­wort­li­che so ver­ant­wor­tungs­los sind, auf den Knopf zu drü­cken. Dage­gen sind ande­re Gefah­ren dabei, unauf­halt­sam anzu­wach­sen allein dadurch, dass wir wei­ter­hin so leben wie wir es tun. Er denkt neben der Kli­ma­er­hit­zung an die Zer­stö­rung von Öko­sys­te­men, die das Aus­ster­ben von Arten zur Fol­ge hat, an die Belas­tung der Öko­sphä­re durch Schad­stof­fe, auch an die künf­ti­gen Mög­lich­kei­ten der Gen­tech­no­lo­gie, ins­be­son­de­re bei ihrer Anwen­dung auf den Men­schen, und an das glo­ba­le Bevöl­ke­rungs­wachs­tum mit sei­nem pro­ble­ma­ti­schen Folgen.

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Die Natur als menschliches Treugut

Dabei ist für ihn die außer­mensch­li­che Natur, die Bio­sphä­re von beson­de­rer Bedeu­tung. Denn sie ist jetzt auch „unse­rer Macht unter­wor­fen“. Damit sei sie aber

ein „mensch­li­ches Treu­gut gewor­den“, das „so etwas wie einen mora­li­schen Anspruch an uns hat – nicht nur um unse­ret­wil­len, son­dern auch um ihrer selbst wil­len und aus eige­nem Recht. … [E]in stum­mer Appell um Scho­nung ihrer Inte­gri­tät scheint von der bedroh­ten Fül­le der Lebens­welt aus­zu­ge­hen.“ „Für eine sol­che Treu­hän­der­rol­le hat kei­ne frü­he­re Ethik (außer­halb der Reli­gi­on) uns vor­be­rei­tet – und die herr­schen­de wis­sen­schaft­li­che Ansicht der Natur noch viel weni­ger.“ (S. 29)

Jonas argu­men­tiert, dass wir,

da wir von der Natur her­vor­ge­bracht sind, „dem ver­wand­ten Gan­zen ihrer Her­vor­brin­gun­gen eine Treue [schul­den], wovon die zu unse­rem eige­nen Sein nur die höchs­te Spit­ze ist. Die­se aber, recht ver­stan­den, befaßt alles ande­re unter sich.“

Wir sind als Men­schen Her­vor­brin­gun­gen aus dem Strom des Lebens auf die­sem Pla­ne­ten. Kön­nen wir unse­re Exis­tenz beja­hen und behaup­ten, ohne das mit uns ver­wand­te Gan­ze zu beja­hen und zu schüt­zen? Kön­nen wir unse­re eige­ne Exis­tenz mit all unse­rer Ethik wür­di­gen und absi­chern und gleich­zei­tig dem müh­se­li­gen Pro­zess unse­rer Ent­ste­hung jeden Respekt verweigern?

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Der Genpool der Arten

Für Jonas ist jede „will­kür­li­che und unnö­ti­ge Aus­lö­schung von Arten“ „zum Ver­bre­chen“ geworden:

es wird zur tran­szen­den­ten Pflicht des Men­schen, die am wenigs­ten wie­der­her­stell­ba­re, uner­setz­bars­te aller »Res­sour­cen« zu schüt­zen – den unglaub­lich rei­chen Gen­pool, der von Äonen der Evo­lu­ti­on hin­ter­legt wor­den ist. Es ist das Über­maß an Macht, das dem Men­schen die­se Pflicht auf­er­legt (Tech­nik, Medi­zin und Ethik, 1985 S. 47)

Zum Arten­ster­ben vgl. die Rezen­si­on zu Eliza­beth Kol­bert: Das sechs­te Ster­ben, Frank­furt: suhr­kamp taschen­buch, 2016.

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Naturalistischer Fehlschluss?

Man hat Jonas einen natu­ra­lis­ti­schen Fehl­schluss vor­ge­wor­fen. Aus dem, was ist, kann nicht gefol­gert wer­den, dass es sein soll. Dass also eine Art, ein Lebe­we­sen, eine Land­schaft exis­tiert, heißt nicht, dass sie auch (so) sein soll.

Jonas meint, es sei ein Dog­ma unse­rer Zeit, „daß sich aus dem Sein kein Sol­len ablei­ten läßt“ (S. 92). Dies trifft nach Jonas aber „nur auf einen Begriff von Sein zu, für den, da er schon in ent­spre­chen­der Neu­tra­li­sie­rung (als »wert­frei«) kon­zi­piert ist, die Unab­leit­bar­keit eines Sol­lens eine tau­to­lo­gi­sche Fol­ge ist“. Die­ser Begriff von Sein spie­ge­le „bereits eine bestimm­te Meta­phy­sik wider, die nur den kri­ti­schen (Occam­schen) Vor­zug vor ande­ren für sich behaup­ten kann, daß sie die spar­sams­te Annah­me vom Sein macht (damit natür­lich auch die ärms­te für die Erklä­rung der Phä­no­me­ne …).“ Dass ein Sein ein Sol­len die­ses Seins impli­ziert, kann natür­lich kei­ne logi­sche Schluss­fol­ge­rung dar­stel­len. Es ist eine meta­phy­si­sche Behaup­tung, eine Behaup­tung aller­dings, zu deren intui­ti­ver Beja­hung wir uns ver­mut­lich fähig fühlen.

Braucht es nicht, um etwas, das ist, zu ver­nich­ten, eine stär­ke­re Begrün­dung als dafür, es im Sein zu las­sen? Hat nicht das Sein solan­ge eine Berech­ti­gung zu sein wie es kei­ne guten Grün­de für sei­ne Ver­nich­tung gibt? Wir haben gese­hen, dass Jonas sogar bei bio­lo­gi­schen Arten eine Ver­nich­tung ethisch nicht gene­rell ver­dammt. Er wür­de sich also sehr wohl für die Ver­nich­tung des Mala­riaer­re­gers und ande­rer Krank­heits­er­re­ger aus­spre­chen. Dies führt aller­dings zu einer wei­te­ren Thematik:

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Hierarchie des Seins?

In der Wahl zwi­schen Mensch und Natur, wie sie sich im Daseins­kampf von Fall zu Fall immer wie­der stellt, kommt aller­dings der Mensch zuerst und die Natur, auch wenn ihr Wür­de zuge­stan­den ist, muss ihm und sei­ner höhe­ren Wür­de wei­chen. (S. 246)

Einer sol­chen Posi­ti­on wird schnell Anthro­po­zen­tris­mus vor­ge­wor­fen. Zei­gen nicht alle Lebe­we­sen durch ihre Exis­tenz, dass sie opti­mal ange­passt sind, dass sie am bis­he­ri­gen End­punkt einer erfolg­rei­chen Evo­lu­ti­on ste­hen? Woher soll­te ein Maß­stab für eine Höher­be­wer­tung kom­men? Nun ist Jonas aber der Mei­nung, dass Sub­jek­ti­vi­tät etwas Neu­es in der Evo­lu­ti­on ist, so wie das Leben etwas Neu­es in der Ent­wick­lung des Kos­mos ist. Leben fügt dem Kos­mos eine neue Qua­li­tät eben­so hin­zu wie die Fähig­keit zur Sub­jek­ti­vi­tät dem Leben­di­gen. Es gibt Gra­de der Kom­ple­xi­tät und die­se lässt sich sinn­voll defi­nie­ren als Dif­fe­ren­ziert­heit bei gleich­zei­ti­ger Inte­gra­ti­on. Die Sub­jek­ti­vi­tät ist dabei nicht „von außen“ hin­zu­ge­kom­men, son­dern die Natur konn­te sie (als etwas qua­li­ta­tiv Neu­es) hervorbringen:

„Das Sein, oder die Natur, ist eines und legt Zeug­nis von sich ab in dem, was es aus sich her­vor­ge­hen läßt. Was das Sein ist, muß daher sei­nem Zeug­nis ent­nom­men wer­den, und natür­lich dem, das am meis­ten sagt, dem offen­bars­ten, nicht dem ver­bor­gens­ten, dem ent­wi­ckelts­ten, nicht dem unent­wi­ckelts­ten, dem volls­ten, nicht dem ärms­ten – also dem uns zugäng­lich »Höchs­ten«“. (S. 92f)

Und das ist für Hans Jonas: der Mensch.

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Vom Existenzialismus zur Gnosis

Als Jonas auf die Ver­mitt­lung von Bult­mann bei Heid­eg­ger sei­ne Dis­ser­ta­ti­on schrieb, ging es ihm dar­um, mit Hil­fe der Heid­eg­ger­schen Exis­tenz­ana­ly­se das Phä­no­men der Gno­sis zu deu­ten. Die »Daseins­hal­tung« der Gno­sis lässt sich so beschrei­ben: „Die Welt ist ein feind­li­cher Ort, und Gott hat sich ganz aus ihr zurück­ge­zo­gen; der Mensch ist in die­ser Welt gefan­gen wie in einem Ker­ker, sei­ne eigent­li­che See­le aber, das pneu­ma, kann durch den Auf­stieg zum gött­li­chen Jen­seits geret­tet wer­den.“ (Hans Bajohr in Brief­wech­sel Hans Blu­men­berg und Hans Jonas, Suhr­kamp 2022, S. 292) Jonas sah hier ein „anti­kes Pen­dant zu Heid­eg­ger“ und dem Exis­ten­zia­lis­mus, der ja auch die Gewor­fen­heit in eine gleich­gül­ti­ge Welt herausstreicht.

„Der Gedan­ke, daß nicht nur gewis­se Exis­tenz­ein­sich­ten Heid­eg­gers bereits bei den Gnos­ti­kern vor­ab­ge­bil­det waren, son­dern Heid­eg­ger selbst in sei­nem Den­ken eine Art gnos­ti­sches Phä­no­men der Gegen­wart dar­stell­te, wur­de mir erst viel spä­ter bewußt, als ich von der Heid­eg­ger-Ver­eh­rung viel frei­er gewor­den war.“ (Jonas: Erin­ne­run­gen S. 119)

Nie habe sich eine Phi­lo­so­phie „so wenig um die Natur geküm­mert wie der Exis­ten­tia­lis­mus, für den sie kei­ne Wür­de behal­ten hat“. Jonas aber geht es um eine Phi­lo­so­phie des Lebens.

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Philosophie des Lebens

Jonas hat­te schon in Brie­fen an sei­ne Frau aus Zypern und Ita­li­en Skiz­zen für eine Phi­lo­so­phie des Lebens ent­wi­ckelt. Die­se wur­den von Jonas wei­ter­be­ar­bei­tet und in Orga­nis­mus und Frei­heit 1973 ver­öf­fent­licht, 1977 in einer neue Fas­sung unter dem Titel: Das Prin­zip Leben. Auch für Albert Schweit­zer war das Leben das maß­geb­li­che Phä­no­men gewe­sen, das ihn zu sei­ner Ethik der Ehr­furcht vor dem Leben inspi­rier­te. Der Mensch teilt sei­nen Wil­len zum Leben mit allem Leben­di­gen. Jonas aber ist fas­zi­niert von der gesam­ten evo­lu­ti­ven Ent­wick­lung, von der Ein­zig­ar­tig­keit der Bio­sphä­re, dem Zusam­men­spiel in Öko­sys­te­men und der Ent­ste­hung von Sub­jek­ti­vi­tät, die uns Men­schen aus­zeich­net. Wäh­rend Schweit­zer – so sehr er es bedau­er­te – den Ver­such eine Welt­an­schau­ung zu bil­den für aus­sichts­los erklärt, und sich auf eine Lebens­an­schau­ung, eine Phi­lo­so­phie und Ethik des Lebens beschränkt, bleibt Jonas zum einen am Gan­zen inter­es­siert, zum ande­ren dif­fe­ren­ziert er inner­halb des Leben­di­gen ent­schie­de­ner zwi­schen höher ent­wi­ckel­ten For­men und einfacheren.

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Jonas: Das Prinzip Verantwortung, 1979

Das Prin­zip Ver­ant­wor­tung von 1979

Erinnerungen

Hans Jonas wur­de 1903 in Mön­chen­glad­bach gebo­ren. Er starb 1993 in sei­nem lang­jäh­ri­gen Wohn­ort New Rochel­le. Sein Vater war ein ange­se­he­ner Tex­til­fa­bri­kant, der schon früh als Ältes­ter von 10 Kin­dern Ver­ant­wor­tung getra­gen hat und des­halb nie die Bil­dung erwer­ben konn­te, die er aber sei­nen Kin­dern gönn­te. Jonas konn­te also völ­lig frei wäh­len, was er stu­die­ren wollte.

Es leb­te dar­in irgend etwas von einer alten jüdi­schen Tra­di­ti­on fort, wonach der gelehr­te Sohn der bes­te war.

So Hans Jonas in den Erin­ne­run­gen (S. 79).

Die Mut­ter war eine Rab­bi­ner­toch­ter, die aber, als sie gehei­ra­tet hat, die Kasch­rut, also die Befol­gung der jüdi­schen Spei­se­ge­set­ze im Hau­se Jonas abschaff­te. Jonas schil­dert sie als äußerst mit­füh­lend und immer bemüht, Leid und Not zu lindern.

Zu den schärfs­ten Aus­ein­an­der­set­zun­gen im Hau­se Jonas kam es, als Hans sich dem Zio­nis­mus zuwand­te. Für die eta­blier­ten jüdi­schen Fami­li­en war der Zio­nis­mus eine ver­rück­te Idee. Hat­ten nicht gera­de beson­ders vie­le Juden als Kriegs­frei­wil­li­ge am 1. Welt­krieg teil­ge­nom­men? Jonas erzählt, zum einen hät­te er per­sön­lich eben doch das Gefühl gehabt, nicht ganz dazu­zu­ge­hö­ren, obwohl er Goe­the und Schil­ler bes­ser kann­te als sei­ne Klas­sen­ka­me­ra­den, und auch Stolz. Und vor allem ver­folg­te er die poli­ti­schen Ent­wick­lun­gen auf­merk­sam, etwa die Ermor­dung Walt­her Rathen­aus 1922. Er fing an Hebrä­isch zu lernen.

Als am 1. April 1933 der Tag des Juden-Boy­kotts aus­ge­ru­fen wur­de, beschloss Jonas Deutsch­land zu ver­las­sen. Er konn­te zu die­sem frü­hen Zeit­punkt noch „völ­lig ord­nungs­ge­mäß aus­wan­dern“ und 1000 Pfund (12.000 Reichs­mark) mit­neh­men (Erin­ne­run­gen S. 130). Jonas woll­te zwar nach Paläs­ti­na, aller­dings auch sei­nen Gno­sis-Band für den Druck fer­tig­stel­len, so dass er zunächst nach Lon­don ging. Van­den­hoeck & Ruprecht brach­te sein Buch 1934 tat­säch­lich noch her­aus und Bult­mann schrieb ein Vor­wort. Jonas traf noch Han­nah Are­ndt und Gün­ther Stern in der Emi­gra­ti­on in Paris, sei­ne Eltern noch in der Schweiz, wobei er ver­such­te, auch sie zur Aus­rei­se zu über­re­den. 1935 zu Pessach kam Jonas in Jeru­sa­lem an. Ein Jahr spä­ter besuch­ten ihn sei­ne Eltern in Isra­el, sein Vater starb „recht­zei­tig“ 1938, wäh­rend sei­ne Mut­ter mit ihrem eige­nen Aus­rei­se­zer­ti­fi­kat ihren jüngs­ten Sohn aus Dach­au her­aus­be­kom­men woll­te und es dazu an ihn abtre­ten muss­te. Das gelang auch, aber sie wur­de 1942 in Ausch­witz ermor­det, was Jonas aber erst 1945 erfuhr.

Jonas ver­sucht sich in Isra­el ein­zu­le­ben, lernt sei­ne Frau Lore ken­nen, mit der er drei Kin­der bekam. Sein ers­ter Vor­trag auf Hebrä­isch kos­tet ihn viel Zeit und Schweiß. Als Eng­land 1939 nach dem Ein­marsch in Polen Deutsch­land den Krieg erklärt, ist er erleich­tert und ver­fasst einen mehr­sei­ti­gen Auf­ruf mit dem Titel: Unse­re Teil­nah­me an die­sem Krie­ge. Ein Wort an jüdi­sche Män­ner:

dies ist unser Krieg. Es ist die Stun­de, auf die wir mit Ver­zweif­lung und Hoff­nung im Her­zen die­se töd­li­chen Jah­re gewar­tet haben: die Stun­de, da es uns ver­gönnt sein wür­de, nach dem ohn­mäch­ti­gen Erdul­den jeder Schmach und jedes Unrechts, jeder phy­si­schen Berau­bung und mora­li­schen Schän­dung unse­res Vol­kes, end­lich unse­rem Tod­feind Auge in Auge, mit der Waf­fe in der Hand zu begegnen …

Die Kir­chen haben es begrif­fen, als sie – zum ers­ten Mal – die­sen Kampf gegen das Juden­tum als Angriff auf ihre eige­nen geis­ti­gen Grund­la­gen jüdi­scher Wur­zel emp­fan­den. …“ (S. 186)

„Ein Teil der Kir­chen“ muss man wohl sagen. Jonas fährt fort:

„die­ser ist ein anti­heid­ni­scher Kampf schlecht­hin und läßt in sei­nen ele­men­ta­ren Ver­ein­fa­chun­gen plötz­lich die gemein­sa­men Grund­la­gen sicht­bar wer­den, die unser Juden­tum mit der christ­lich abend­län­di­schen Kul­tur ver­bin­den.“ (S. 194f)

Natür­lich gab es den Kon­flikt, dass jüdi­sche Kämp­fer auch in Paläs­ti­na gebraucht wur­den. Mit dem Kriegs­ein­tritt Ita­li­ens 1940 war aller­dings die Front bis nach Liby­en vor­ge­rückt, weil Liby­en ita­lie­ni­sches Kolo­ni­al­ge­biet war.

Jonas und Wal­ter Groß wur­den mit ihrer Bit­te um Kriegs­be­tei­li­gung von den Eng­län­dern zunächst abge­wie­sen und von den Fran­zo­sen auf die Frem­den­le­gi­on ver­wie­sen. Dort aber wären sie nicht als jüdi­sche Kämp­fer kennt­lich gewe­sen. Nach dem Zusam­men­bruch Frank­reichs kam eine Ver­ein­ba­rung zwi­schen Groß­bri­tan­ni­en und der Haga­na zustan­de. Chur­chill hat gegen den Wider­stand sei­ner Gene­ra­li­tät „den mora­li­schen Sinn der jüdi­schen Sache und unse­rer Kriegs­be­tei­li­gung“ erkannt und ver­an­lasst, dass wir aus „ver­schie­de­nen Waf­fen­gat­tun­gen zu einem ein­zi­gen mili­tä­ri­schen Gebil­de zusam­men­ge­fasst wur­den“, sogar mit eige­nem Abzei­chen. (S. 207) So wur­de Jonas mit 37 Jah­ren in die First Pal­es­ti­ne Air­craft Bat­tery auf­ge­nom­men. (S. 204) Aus dem befrei­ten Ita­li­en berich­tet Jonas sei­ner Frau , dass vie­le Ita­lie­ner Juden ver­steckt hat­ten. Die ers­te Kon­fron­ta­ti­on mit den Gräu­eln  der Kon­zen­tra­ti­ons­la­ger ereig­ne­te sich bei Lands­berg, als befrei­te Juden den jüdi­schen Sol­da­ten ent­ge­gen kamen und es kaum fas­sen konn­ten, jüdi­sche Sol­da­ten zu sehen. (Vgl. S. 216)

Jonas erfährt vom Tod sei­ner Mut­ter, hat zwie­späl­ti­ge Wie­der­be­geg­nun­gen, und sucht sei­nen Ver­lag in Göt­tin­gen auf, der tat­säch­lich die Druck­fah­nen für sein Gno­sis­buch sicher ein­ge­la­gert hat, so dass sie noch nutz­bar sind.

1945–1948 leb­te Jonas mit sei­ner Frau in einem ara­bi­schen Dorf ober­halb Jeru­sa­lems, in einem Haus ohne Strom und flie­ßen­dem Was­ser. Mit der UN-Abstim­mung über die Staats­grün­dung Isra­els konn­te der ara­bi­sche Haus­be­sit­zer ihre Sicher­heit nicht mehr garan­tie­ren und sie zogen nach Westjerusalem.

Auf Ver­mitt­lung von Leo Strauss erhielt Jonas eine Lehr­tä­tig­keit in Kana­da, spä­ter in New York 1955–1976 an der New School for Social Rese­arch. Rufe auf deut­sche Lehr­stüh­le für Phi­lo­so­phie lehn­te er ab. (S. 243–277)

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Hans Jonas und Hannah Arendt

Die bei­den waren bis zum Tod von Han­nah Are­ndt 1975 eng befreun­det. Als Jonas in sei­nem Phi­lo­so­phie­stu­di­um Mar­tin Heid­eg­ger fol­gend nach Mar­burg ging, besuch­te er wie ande­re Heid­eg­ger-Schü­ler auch Semi­na­re beim Neu­tes­ta­ment­ler Rudolf Bult­mann. Und in einem Semi­nar bei die­sem evan­ge­li­schen Theo­lo­gen waren sie die ein­zi­gen Juden und lern­ten sich so 1924 ken­nen, Are­ndt 18, Jonas 21 Jah­re alt. Are­ndt erzähl­te Jonas, wie sie sich – als eigent­lich Phi­lo­so­phie­stu­den­tin – zur Teil­nah­me am Semi­nar bei Bult­mann vor­stell­te. Bult­mann reagier­te posi­tiv und Han­nah Are­ndt sag­te: „Aber eines möch­te ich von vorn­her­ein klar­stel­len: Anti­se­mi­ti­sche Bemer­kun­gen las­se ich mir nicht gefal­len!“ Dar­auf habe Bult­mann geant­wor­tet: „Fräu­lein Are­ndt, ich den­ke, wenn so etwas vor­kom­men soll­te, wer­den Sie und ich zusam­men die Sache gut bewäl­ti­gen.“ (Jonas, Erin­ne­run­gen S. 111) Jonas meint, Are­ndt sei das gewe­sen, was man im Eng­li­schen tough nennt (S. 113). Übri­gens hat der Vater von Hans Jonas, ihn ein­mal in Mar­burg besucht, auch Han­nah ken­nen­ge­lernt und dar­auf Erkun­di­gun­gen über ihre Fami­lie (mit posi­ti­vem Ergeb­nis) ein­ge­holt, was Han­nah Are­ndt erfuhr und Hans amü­siert erzählte.

Zum zeit­wei­li­gen Bruch mit Han­nah Are­ndt kam es nach deren Buch Eich­mann in Jeru­sa­lem.

Jonas kri­ti­siert die „sar­kas­ti­sche Art, mit der sie sich über die Rol­le der Juden und den vor­hit­ler­schen Zio­nis­mus äußer­te.“ (Erin­ne­run­gen S. 290.) Nach Jonas wuss­te Are­ndt wenig über das Juden­tum (sie kann­te das Neue Tes­ta­ment bes­ser als die hebräi­sche Bibel) und über die Geschich­te des Anti­se­mi­tis­mus, so dass sie „tat­säch­lich imstan­de“ war, „zu sagen, die The­se von der Ewig­keit des Anti­se­mi­tis­mus sei eine zio­nis­ti­sche Erfin­dung, die vom Ende des 19. Jahr­hun­derts stamm­te. Sie kann­te nicht ein­mal die Pessach-Hag­ga­da, wor­in steht. »Von Geschlecht zu Geschlecht, seit Pha­rao stand man auf, um uns zu ver­nich­ten.«“ (S. 291) Sie gab nach Jonas den Juden eine „Mit­schuld an der Shoa, anstatt die erzwun­ge­ne Mit­wir­kung an der eige­nen Ver­nich­tung als tra­gi­schen, schreck­li­chen Tat­be­stand zu schil­dern.“ So wie es nach Jonas Pri­mo Levi in sei­nem Buch Die Unter­ge­gan­ge­nen und die Geret­te­ten getan habe.

Zudem ver­kann­te sie nach Jonas, dass man bei Eich­mann nicht von der Bana­li­tät des Bösen spre­chen kann, weil er genui­ner Anti­se­mit war, wie sei­ne Äuße­rung zeigt: »Und wenn wir den Krieg ver­lie­ren – eines will ich doch errei­chen, daß die Juden ver­nich­tet wer­den.« (S. 292)

Jonas ver­such­te, mit Han­nah Are­ndt über sei­ne Ein­wän­de zu spre­chen. Aber sie war dafür unzu­gäng­lich und so kam es eine Zeit lang kei­nen Kon­takt bis Lore Jonas ihren Mann über­zeu­gen konn­te, den Kon­takt wie­der zu suchen. „Und so war unse­re Freund­schaft schnell wie­der die alte.“ (S. 293)

Als Jonas ihr spä­ter Pas­sa­gen aus sei­nem Manu­skript des Prin­zips Ver­ant­wor­tung gab, um ihre Mei­nung dazu zu erfah­ren, sag­te sie ihm anschließend:

Bevor ich anfan­ge über Ein­zel­hei­ten mit dir zu spre­chen, will ich nur sagen: Soviel steht fest für mich, das ist das Buch, das der Herr­gott mit dir im Sinn gehabt hat. (S. 324)

Bei sei­ner Trau­er­re­de bei der Bestat­tung von Han­nah Are­ndt sag­te Hans Jonas:

Ihr Fort­gang ist ein erschüt­tern­der Schlag, und da sie ein Genie der Freund­schaft war, wird es vie­le geben, die sich in ihrem per­sön­li­chen Leben jetzt unend­lich viel ärmer füh­len. … Das Den­ken war ihre Lei­den­schaft, bei ihr war Den­ken eine mora­li­sche Tätig­keit. … Alles, was sie zu sagen hat­te, war von Bedeu­tung, oft her­aus­for­dernd, bis­wei­len ver­kehrt, doch nie­mals tri­vi­al, nie­mals belang­los, immer unver­gess­lich. Selbst ihre Irr­tü­mer waren bedeu­ten­der als die Rich­tig­kei­ten vie­ler klei­ne­rer Geister.

Erin­ne­run­gen – nach Gesprä­chen mit Rachel Sala­man­der; hg. v. Chris­ti­an Wie­se, 2003

Zitate von Hans Jonas aus dem Prinzip Verantwortung

Tierschutz

„Die letz­te Ernied­ri­gung sin­nen- und bewe­gungs­be­gab­ter, füh­len­der und lebens­eif­ri­ger Orga­nis­men zu umwelt­be­raub­ten, lebens­lang ein­ge­sperr­ten, künst­lich beleuch­te­ten,  auto­ma­tisch gefüt­ter­ten Lege- und Fleisch­au­to­ma­ten hat mit Natur kaum noch etwas gemein…“ (S. 372)

Wildnis

„Das von Bloch nicht gese­he­ne Para­dox ist, daß gera­de die vom Men­schen nicht ver­än­der­te und nicht genutz­te, die ‘wil­de’ Natur die ‘huma­ne’, näm­lich zum Men­schen spre­chen­de ist, und die ganz ihm diestbar [sic] gemach­te die schlecht­hin ‘inhu­ma­ne’. Nur das geschon­te Leben offen­bart sich.“ (S. 373f)

Ehrfurcht

„Auch Ehr­furcht und Schau­dern sind wie­der zu ler­nen, daß sie uns vor Irr­we­gen unse­rer Macht schüt­zen (zum Bei­spiel vor Expe­ri­men­ten mit der mensch­li­chen Kon­sti­tu­ti­on).“ (S. 392) „Die Ehr­furcht allein, indem sie uns ein »Hei­li­ges«, das heißt unter kei­nen Umstän­den zu Ver­let­zen­des ent­hüllt (und das ist auch ohne posi­ti­ve Reli­gi­on dem Auge erschein­bar) wird uns auch davor schüt­zen, um der Zukunft wil­len die Gegen­wart zu schän­den, jene um den Preis die­ser kau­fen zu wol­len.“ (S.393)

Wer vertritt die Zukunft?

„Die Zukunft … ist in kei­nem Gre­mi­um ver­tre­ten; sie ist kei­ne Kraft, die ihr Gewicht in die Waag­scha­le wer­fen kann. Das Nicht­exis­ten­te hat kei­ne Lob­by und die Unge­bo­re­nen sind macht­los.“ (S. 55)  „Wel­che Kraft soll die Zukunft in der Gegen­wart ver­tre­ten?“ (S. 56)