Vor gut 500 Jahren, im Jahre 1520, wurde Johannes Reuchlins Schrift Der Augenspiegel von Papst Leo X. verboten als „besorgniserregendes, unerlaubt judenfreundliches und daher frommen Christen anstößiges Buch“. Reuchlin werden ewiges Stillschweigen und die Prozesskosten auferlegt.
10 Jahre zuvor hatte Reuchlin in einem Gutachten umfassend und souverän begründet, warum die Jüdischen Schriften unantastbares Eigentum der Juden seien und viele davon auch für Christen wert der Lektüre und des Studiums, und also keineswegs zu beschlagnahmen und zu verbrennen.
Reuchlin starb 2 Jahre nach jener Verurteilung, also 1522 und dementsprechend wird seines 500. Todestages in diesem Jahr gedacht in seiner Geburtsstadt Pforzheim, in der Stadt seines langjährigen Wirkens, Tübingen, und in der Stadt, in der seine Begräbnisstätte ist und in der er ebenfalls lange gelebt und gewirkt hat: Stuttgart.
Reuchlin war zu seiner Zeit als bedeutendster Gelehrter neben Erasmus von Rotterdam anerkannt. Dieser pries ihn nach seinem Tod mit „Reuchlins Himmelfahrt“. Dabei war Erasmus weder an der hebräischen Sprache interessiert noch war er frei von antijudaistischen Ressentiments.
Kostbarer ist das Lob, das ihm durch Josel (Yossel, Joseph, Josselmann) von Rosheim, zuteil wurde, eines 23 Jahre jüngeren Zeitgenossen Reuchlins. Josel von Rosheim nannte Reuchlin „ein Wunder im Wunder“ und er meinte damit präzise das Wunder, dass Reuchlin seine Stimme so klar für die jüdische Literatur und die Juden erhoben hatte; das Wunder im Wunder war für ihn, dass damit tatsächlich die Vernichtung jüdischer Schriften nicht mehr durchsetzbar war. Was Reuchlin als Gelehrter forderte, hat Josel im Lebensalltag der jüdischen Gemeinden gleichwohl mühsam und mit bitteren und grausamen Rückschlägen für die jüdischen Gemeinden sichern und immer wieder erkämpfen müssen. Und wenn er 3 Jahrzehnte nach dem Tod Reuchlins, den er persönlich nicht kennengelernt hat, Reuchlin ein „Wunder im Wunder“ nennt, dann hat dies Gewicht.
Josel von Rosheim war Sprecher der Juden im Unterelsass geworden, eben in dem Jahr 1510, in dem Reuchlin sein Gutachten verfasste; und im Jahr 1520, als Reuchlin verurteilt wurde, wohnte Josel von Rosheim der Krönungszeremonie des neuen Königs und erwählten Kaisers, Karl V. in Aachen bei, um – wie er sagt – „für unser Volk Fürbitte einzulegen“. Er war erfolgreich: der Kaiser bestätigte die Privilegien der Juden im Elsass und im Reich, was „eine Aussetzung der Vertreibung aus mehreren Städten zur Folge“ hatte. Er erlangte hohes Ansehen beim Kaiser, war ab 1530 gewählter Sprecher der Juden im ganzen Reich und über 40 Jahre unermüdlich für jüdische Gemeinden unterwegs, um ihnen das Überleben zu sichern. Er starb 1554.
Ist schon Reuchlin heute nicht in dem angemessenen Maße bekannt, so gilt dies erst recht für Josel.
Mehr über Reuchlin in diesem Vortrag aus dem Jahr 2020 im Hospitalhof Stuttgart.
Hier: Zeittafel zur Geschichte der Juden in Deutschland und zum Streit um die jüdischen Schriften
Bis 16. Dezember 2022: Ausstellung im Landesarchiv Baden-Württemberg Ich kan yetzo nit mee … und hier geht’s zum Digitalen Rundgang
Eine schöne Website der Deutschen digitalen Bibliothek.
Reuchlins 3‑sprachiges Epitaph
griechisch: ANASTASIS – Auferstehung, hebräisch: Olam Hachajim – Ewiges Leben, lateinisch: ANN(O) / CHR(ISTI) . M . D . I . / SIBI ET PO/STERITAT/I CAPNION/IAE IOANN/ ES REVCHL/IN PHORC/ENSIS . S – Im Jahre 1501 sich und seiner Nachkommenschaft / Nachwelt Capnion Johannes Reuchlin aus Pforzheim
Bildnis von Johannes Reuchlin aus dem 19. Jahrhundert, heute im Chor der Leonhardskirche Stuttgart