Das sechste Sterben. Wie der Mensch Naturgeschichte schreibt
Das sechste Sterben? Der Titel verweist auf das sechste große Aussterbeereignis von biologischen Arten seitdem sich vor rund 500 Millionen Jahren Leben auf der Erde ausgebreitet hat. Fünf große Aussterbeereignisse lassen sich geologisch nachweisen – und derzeit vollzieht sich das sechste, durch den Menschen verursacht.
Elizabeth Kolbert nimmt den Lesenden in 13 glänzend geschriebenen Kapiteln mit an die Orte, an denen sich diese Einschnitte studieren lassen und lässt uns teilhaben an ihren Gesprächen mit den maßgeblichen Forschern vor Ort, von Panama bis zum Great Barrier Reef, von Schottland bis Leipzig.
Das wohl dramatischste gegenwärtige Artensterben vollzieht sich an Amphibien. Besonders markant zu beobachten ist es im tropischen Mittel- und Südamerika, wo die größte Artenvielfalt zu finden und bedroht ist. Es ist offenkundig, dass ein Pilz dafür verantwortlich ist, der Mensch allerdings für die Verbreitung dieses Pilzes.
Dass sich Wandel nicht nur im Kontext der durch Menschen gestalteten Kultur vollzieht, sondern auch in der Natur, weiß heute jedes Kind, das sich für Dinosaurier begeistert. Doch erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts hatte der junge französische Biologe Georges Cuvier aus den Funden riesiger Zähne und Knochen von »Mastodonten« aus Amerika geschlossen, dass Tierarten ausgestorben sind, viele Tierarten, wie sich nach und nach zeigte. Cuvier dachte schnell an katastrophische Ereignisse. Für das letzte derartige Ereignis scheint dies voll zuzutreffen. Vor ca. 66 Millionen Jahren verschwanden u.a. die Dinosaurier, aber auch viele winzige Foraminiferen-Arten. Groß und Klein waren von der Katastrophe betroffen, die verursacht wurde durch den Einschlag und Explosion eines Asteroiden, in deren Folge es zu einem jahrelangen Winter auf der Erde kam.
Zumindest zwei der anderen Aussterbeereignisse sind aber auf schleichende Klimaveränderungen zurückzuführen. Womöglich entzogen Moose als erste Landpflanzen der Atmosphäre CO2 und führten damit zu einer globalen Eiszeit und zum ersten Massensterben der marinen Fauna am Ende des Ordoviziums.
Im Gegensatz dazu wurde es am Ende des Perms zu warm durch eine drastische Erhöhung des CO2 in der Luft, was u.a. eine Versauerung der Meere, die um bis zu 10 Grad wärmer wurden, zur Folge hatte, so dass innerhalb von 100–200.000 Jahren 90% aller Spezies ausgestorben waren. Noch sind wir von diesem Ausmaß an Temperaturerhöhung weit entfernt, allerdings geht die durch den Menschen verursachte Temperaturerhöhung durch CO2-Ausstoß schneller vonstatten. In zwei Kapiteln führt uns Kolbert an Orte, an denen die Versauerung der Meere erforscht wird. Bei Neapel bzw. Ischia lässt sich an Gasquellen, die aus dem vulkanischen Meeresboden CO2 blubbernd an die Oberfläche entlassen, die Wirkung einer sauren Umgebung auf Meeresbewohner studieren. Die Artenvielfalt nimmt immer weiter ab, je näher man sich die Gasschlote herankommt, die das umgebende Wasser versauern. Kolbert besuchte aber auch das Great Barrier Reef in Australien, denn Riffe sind ebenso unglaublich wertvoll für die Artenvielfalt wie empfindlich gegenüber Versauerung. Es sollte uns klar sein, dass die verheerenden Folgen einer Versauerung der Meere weitergehen, selbst wenn es uns gelänge durch Geoengineering die weitere Erwärmung der Erde zu stoppen.
Menschen rotteten Tierarten aus, indem sie sie übernutzten oder aber aus Spaß töteten. Sie trugen und tragen aber auch zu ihrem Aussterben bei, indem sie Tiere und Pflanzen (und Pilze) in neue Umgebungen bringen, wo sie u.U. keine Fressfeinde haben und sich ungehindert ausbreiten, ab und zu mit fatalen Folgen für andere Arten. Zudem kommt es zu Artenschwund durch die Zerstörung oder Verkleinerung von Ökosystemen. Und schließlich werden nicht alle Organismen sich dem schnellen Klimawandel anpassen können. So ergibt sich ein sechstes Massenaussterben der Erdgeschichte. Es ist das Verdienst von Elizabeth Kolbert, diese Thematik umfassend, anschaulich und verständlich entfaltet zu haben.
Elizabeth Kolbert: Das sechste Sterben: Wie der Mensch Naturgeschichte schreibt, suhrkamp taschenbuch 2016
Galapagos-Schildkröte
Ein wahrscheinlich letzter Vertreter der Unterart der Pinta-Riesenschildkröte, Lonsome George genannt, starb 2012.