Nun also der Film Der Mauretanier zum Buch bzw. zum Leben von Mohamedou Ould Slahi. In mehreren Sprachen erschien im Januar 2015 das Guantanamo-Tagebuch.
Hier gibt´s eine Podcast-Folge von Popcorn & Lakritz zu diesem Film.
Wie so oft ersetzt auch ein guter Film nicht das Buch.
Das Guantanamo-Tagebuch ist eigentlich kein Tagebuch, sondern ein Bericht. Wiederholt spricht Slahi den „Leser“ an, auf den er im Sommer 2005, in dem er seinen Bericht verfasst, nur hoffen kann. Zu diesem Zeitpunkt hatte Slahi das Schlimmste hinter sich an Verhören, Isolation, psychischer, physischer und sexueller Gewalt, Androhung von Gewalt gegen seine Mutter, nicht aber die Haft. Denn auch wenn es offenkundig nicht möglich ist, ihn anzuklagen, so gelingt es offenbar auch nicht, ihn in die Freiheit zu entlassen.
Nachdem der oberste Gerichtshof im Jahre 2008 das Recht auf eine Habeas-Corpus-Petition bestätigte, ordnete ein Gericht im Jahre 2010 die Freilassung von Slahi an. Dem sofortigen Widerspruch der Obama-Administration jedoch wurde stattgegeben, ohne dass in der Sache selbst eine Entscheidung getroffen wurde.
Slahi hat nie bestritten, dass er sich mit 20 Jahren im Dezember 1990 von Al Qaida zum Kampf gegen die kommunistische Herrschaft in Afghanistan hat ausbilden lassen und im Februar-März 1992 den Sturz der Regierung unterstützen wollte. Angesichts der rivalisierenden Rebellengruppen kehrte er jedoch noch vor dem Sturz der Regierung im April 1992 wieder nach nach Deutschland zurück, wo er sein Ingenieurstudium wiederaufnahm und nach seinen Angaben nichts mehr von Al Qaida wissen wollte.
Fast 10 Jahre nach der Niederschrift liegt uns also dieser minutiöse Bericht des Mauretaniers über seine Odyssee vor: von seiner von den USA betriebenen Verhaftung in Mauretanien Ende September 2001 über seine Auslieferung an die Verhörspezialisten in Jordanien und dem Aufenthalt in Bagram in Afghanistan bis hin zur vorläufigen Endstation auf Kuba. Ein Rezensent störte sich an den vielen schwarzen Balken, die den Lesefluss erheblich behindern. Ja, sie stören wirklich diese schwarzen Balken und Passagen, die kaum eine Seite verschonen, aber so (ver)störend ist eben die verübte Zensur.
Die Lektüre lohnt sich gleichwohl allemal. Dieser Bericht ist – so unglaublich das klingt – humorvoll und mit einer großen Nachsicht, ja Liebe zu den Menschen geschrieben. Und es ist deutlich, dass Slahi dazu seine Gebete und Koranrezitationen, die er lange genug nur in seinem Herzen sprechen durfte, mit verhelfen. Übrigens bestätigt auch der ehemalige Leiter eines Verhörteams, der Polizist Richard Patrick Zuley, dass Slahi ein ungewöhnlich charismatischer Mensch sei.
2004 enden die brutalen Verhöre, in deren Verlauf sich Slahi entschlossen hatte, nach Möglichkeit alles zu gestehen, dessen seine Verhörer ihn verdächtigen. Offenbar sind diese zunächst erfreut bis sie merken, dass diese »Geständnisse« wertlos sind. 2004 also erhält Slahi den ersten Brief von seinen Eltern (ein Bruder, der wie Slahi selbst früher, in Deutschland lebt, hatte 2002 aus dem Spiegel erfahren, wohin sein Bruder verschleppt worden war), das ICRC (Internationale Rote Kreuz) kann ihn wieder besuchen (der Besuch wird allerdings widerrechtlich abgehört). Er wagt es, um eine eigene Flasche Wasser zu bitten. Bis dahin, wurde er nachts geweckt und musste die vorgeschrieben Menge trinken. Nach dem Ende der brutalen Verhöre wird der Kontakt zu einigen Bewachern geradezu freundschaftlich. Er nennt es die Phase einer Gefangenschaft, in der man sein neues Zuhause und seine neue Familie entdeckt – und diese besteht auch aus dem Wach- und Verhörpersonal. Sie diskutieren über Religion, Ehe, Filme und spielen Schach miteinander. Ein Bewacher [eine Bewacherin, wie sich in der wiederhergestellten Fassung zeigt] wiederholt mehrfach:
»Ich weiß, dass das, was wir tun, nicht gut (healthy) für unser Land ist.«
Es fällt nicht leicht, hier die Rezension zu beenden, immerhin hätte sie ihr Ziel erreicht, wenn sie zu eigener Lektüre den Anstoß gegeben hätte. Bleibt zu hoffen, dass die Veröffentlichung seines Berichtes den öffentlichen Druck ausübt, Slahi alsbald vor ein ordentliches Gericht zu stellen oder aber ihn freizulassen. (So weit meine Rezension von 2015.)
2016 wurde Mohamedou Ould Slahi nach Mauretanien entlassen. Nun erschien sein Tagebuch erneut, wobei die geschwärzten Teile rekonstruiert wurden. Obwohl er 3 Jahre nach einer Freilassung wieder einen Pass beantragen durfte, war seine einzige Reise zunächst die zu den Dreharbeiten des Films über ihn nach Südafrika. Im August 2021 konnte er auf Einladung des Regisseurs Kevin Macdonald nach London fliegen und dort einige Wochen verbringen. Moritz Baumstieger schreibt in der Süddeutschen Zeitung vom 24.06.2021:
„Visumsanträge, etwa für Deutschland, wo seine Ehefrau und sein zweijähriger Sohn Ahmed leben, wurden abgelehnt. Ein aktueller Antrag auf Familienzusammenführung läuft auffallend schleppend, das Verfahren habe bislang ‚wenig mit einem normalen Verfahren zu tun‘, sagte Slahis Anwalt der SZ schon im Februar.“
Das Guantanamo-Tagebuch Unzensiert. Hrsg. von Larry Siems, mit einem neuen Vorwort des Autors, aus dem Amerikanischen von Susanne Held. Tropen Verlag bei Klett-Cotta, 2018, ISBN 978–3‑608–50358‑6.
Link zu einem Doku-Film über Slahis Freundschaft mit einem ehemaligen Bewacher, Steve Wood.