Posttraumatische Belastungsstörungen. Ein interessanter Artikel in PNAS vom April 2021 von M. Zefferman und S. Mathew untersucht die Häufigkeit und Form von Posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS bzw. engl.: PTSD) bei Kämpfern der Turkana-Nomaden in Kenia im Vergleich zu Veteranen der US-Armee.[1] Dazu wurden 218 Turkana interviewt, die an (z.T. mehreren) Überfällen oder Verteidigungskämpfen gegen die benachbarten Toposa im Südsudan beteiligt waren. Kämpfe von Turkana gegen andere Turkana sind dagegen geächtet. Von grundsätzlicher Bedeutung sind zunächst zwei Aspekte:
- Die Kämpfe haben immer das Ziel, sich Vieh anzueignen, u.U. Hunderte von Rindern.
- Die Kämpfer beteiligen sich freiwillig und ohne Zwang, obwohl es natürlich einen gewissen Gruppendruck durch die Peergroup geben kann, wenn sich viele aus ihr beteiligen. Selbst auf dem Weg zu den Gegnern (50–100 km) kann jeder ohne Gesichtsverlust aus diversen Gründen zurückkehren. Es gibt keine hierarchische Befehlsstruktur.
Beide Aspekte unterstreichen, dass es nicht plausibel ist, schon bei Sammlerinnen und Jägern so etwas wie „Krieg“ zu unterstellen. Auch die Annahme, dass der Mensch eine Selektion auf Zwischengruppenaggression hin durchlaufen habe, erscheint von daher eher unwahrscheinlich. Auf Kooperation ist der Mensch sehr wohl gepolt, sowohl zur Bewältigung gemeinsamer Aufgaben als auch im Kampf gegen Bedrohungen aller Art. Und dies könnte auch die Kooperation in Kämpfen mit anderen Gruppen seit der Sesshaftwerdung hinreichend erklären. Durch Aggression sind die Überfälle jedenfalls nicht motiviert.
In der Studie wurden zur Erfassung der PTBS die 20 Symptome des Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (DSM‑5) zugrundgelegt. (In der Klassifikation von ICD-10 Kapitel V handelt F43.1 von der posttraumatischen Belastungsstörung.)
Interessanterweise zeigten sich kaum Unterschiede in der Häufigkeit von PTBS zu amerikanischen Kriegsveteranen und auch die Symptome waren in der Häufigkeit und Schwere ähnlich, so insbesondere Flashbacks, Albträume, Teilnahmslosigkeit etc. (die als reaktive Symptome zusammengefasst werden) als auch Überwachsamkeit und Schreckhaftigkeit (die als Lern-Symptome bezeichnet werden), zudem Schlaflosigkeit als unspezifisches Symptom. Es gab allerdings auch eine Klasse von Symptomen, die bei den Turkana schwächer ausgeprägt waren, so etwa geringere Konzentrationsfähigkeit, Verlust jeglichen Interesses, Vermeidung der Erinnerung, Entfremdungsgefühle. Die Autoren führen dies darauf zurück, dass die Turkana-Kämpfer stärkere soziale Unterstützung erfahren. Für den Einzelnen ist die Erfahrung, getötet zu haben, belastend (Gefühl der Verunreinigung, drohendes Unglück, Rache des Geistes des Getöteten), die Gemeinschaft stellt jedoch Rituale zur Verfügung: er wird mit einer Wunde bzw. Narbe gezeichnet, als deren Träger ihm Respekt entgegengebracht wird. Er wird einem Reinigungsritual unterzogen und schließlich kann er – auch wiederholt – mit einem Ritual vor der Rache des Geistes des Getöteten geschützt werden.
Die Autoren schließen ihren Beitrag mit den Sätzen:
„Der Mangel an solchen Ritualen, besonders in Bevölkerungen mit klaren moralischen Überzeugungen und restriktiven Normen hinsichtlich des Tötens im Kampf, könnte zu den erhöhten depressiven Symptomen und moralischen Verletzungen beitragen, die die Angehörigen der US-Armee erfahren haben.“
Ähnliches wird man mit Bezug auf die mangelnde Anerkennung der deutschen Afghanistan-Soldaten seit ihrer Rückkehr befürchten müssen. Wenn der Staat Soldaten in einen Krieg schickt, sollte er ihnen auch anschließend zur Seite stehen – und gesehen zu werden mitsamt der ertragenen Belastungen, gehört elementar dazu. So formulierte der Oberstleutnant Marcel Bohnert soeben im Spiegel (Nr.32 / 7.8.2021, S.24–25): „Es ist für eine echte Heimkehr … wichtig, sich den Staub der Einsatzzeit nicht alleine von den Stiefeln putzen zu müssen. Viele Rückkehrende haben das Gefühl, für eine Gesellschaft den Kopf hingehalten zu haben, in der sie nun alleingelassen und als Fremdkörper wahrgenommen werden.“
Beispiele aus den Interviews:
Emotionale Erstarrung (numbing): Selbst wenn du dich mit Leuten triffst, lachst du nicht mit ihnen wie sonst. Du grüßt sie kaum. Du gehst still neben den anderen. […] Alles in der Welt tut dir weh – wegen der Leute, die getötet wurden von den Feinden: deine besten Freunde, Cousins. Das schwächt deinen Körper und du fühlst dich wie: „Was ist meine Rolle hier? Warum sollte ich lachen, wenn Leute, viele Leute, getötet worden sind und nicht vom Überfall zurückgekommen sind?“
Flashback: Ich dachte, ich würde kämpfen, nachdem ich von den Besitzern der Ziegen [die ich geraubt hatte] gepackt wurde. Ich nahm meine Flinte und feuerte ziellos in die Nacht, weil ich dachte, ich würde mit den Feinden kämpfen. […] Ich lief schießend quer durch mein Tiere, aber als ich die andere Seite des Geheges erreicht hatte, merkte ich, dass es gar keinen Kampf gab. Es war ein Traum.
[1] Zefferman, Matthew R.; Mathew, Sarah: Combat stress in a small-scale society suggests divergent evolutionary roots for posttraumatic stress disorder symptoms, in: Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America 118/15, 2021, S. 1–10, doi:10.1073/pnas.2020430118
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