Es gibt kaum einen Wert­be­griff, der in den letz­ten Jah­ren eine stei­le­re Kar­rie­re hin­ge­legt hat als der der Achtsamkeit:

Die­se Gra­fik zeigt die Häu­fig­keit, in der das Wort Acht­sam­keit (im Ver­hält­nis zu allen ande­ren Wor­ten) in den von Goog­le erfass­ten Büchern vor­kam (vgl. Goog­le Books Ngram View­er).

Die Grün­de dafür sind klar: Sowohl im Bereich der Spi­ri­tua­li­tät als auch in den Berei­chen der Psy­cho­lo­gie und The­ra­pie, ja auch der Neu­ro­wis­sen­schaf­ten wird Acht­sam­keit the­ma­ti­siert. Übri­gens ist die Kur­ve für mindful­ness im eng­li­schen Sprach­raum sehr ähn­lich. Es war aller­dings bis 1950 über­haupt nicht gebräuch­lich. Dage­gen hat acht­sam und Acht­sam­keit im Deut­schen durch­aus eine Nischen­exis­tenz geführt.
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Achtsam und Achtsamkeit in der deutschen Literatur

Acht­sam fin­det sich im ers­ten Band des Grimm­schen Deut­schen Wör­ter­buch von 1854 (Sp. 170). Der Auf­klä­rungs­phi­lo­soph Chris­ti­an Fürch­te­gott Gel­lert spricht sehr schön von „acht­sa­mer Erzie­hung“, Kant von den (weni­ger schö­nen) „erzwun­ge­nen Acht­sam­kei­ten in der fei­nen Erzie­hung“.

In Klop­stocks Mes­si­as heißt es (Teil 1, 3. Gesang):

Sagt mir, himm­li­sche Freun­de, wo ist, in wel­chen Gefilden
Wan­delt er itzt, der erhab­ne Mes­si­as? Die See­len der Väter
Sen­den mich, daß ich ihn auf allen gött­li­chen Wegen
Still beglei­te und jede That der gro­ßen Erlösung
Acht­sam bemer­ke; kein hei­li­ges Wort, kein Seuf­zer des Mitleids
Soll von sei­nem unsterb­li­chen Mund unge­hört mir ent­flie­hen!a

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Achtsamkeit im Buddhismus

Der deut­sche bud­dhis­ti­sche Mönch Nya­na­ti­lo­ka hat das sati des bud­dhis­ti­schen Pali­ka­nons mit Acht­sam­keit über­setzt, wäh­rend zuvor oft Ein­sicht, Wach­sam­keit o.ä. ver­wen­det wur­de.[1]

[1] Vgl. Ste­fan Schmidt, in: Brit­ta Höl­zel und Chris­ti­ne Bräh­ler (Hg.): Acht­sam­keit mit­ten im Leben S.33, mit Ver­weis auf die Recher­che von Hans Gru­ber und Peter Gäng (S. 40 Anm. 18).

Den mate­ri­el­len Wer­ten wird zu viel Bedeu­tung bei­gemes­sen. Sie sind wich­tig, aber sie kön­nen unse­ren psy­chi­schen Stress, unse­re Furcht, Wut oder Frus­tra­ti­on nicht ver­rin­gern. […] Des­halb brau­chen wir eine tie­fe­re Ebe­ne des Den­kens. Das ver­ste­he ich als Acht­sam­keit, also das tief­grün­di­ge Den­ken und Füh­len, und das ist hier sehr wichtig.

Acht­sam­keit ist unab­hän­gig davon, ob jemand gläu­big oder ungläu­big ist. Das spielt kei­ne Rol­le, wir sind alle nur Men­schen, mit den glei­chen Gefüh­len und einer ähn­li­chen Intelligenz.

Der Appell des Dalai Lama an die Welt. Ethik ist wich­ti­ger als Reli­gi­on, Wals bei Salz­burg: Beneven­to Publi­shing 2015, S.33