Das Prinzip Verantwortung ist das bekannteste Werk von Hans Jonas. Es handelt von einer Ethik für die technologische Zivilisation und Jonas entwickelt darin gleichzeitig eine Ethik der Naturverantwortung. 1979 wurde es veröffentlicht und kann als visionär gelten.
Das Prinzip Verantwortung
Es erscheint unglaublich, wie treffend Jonas z. B. die drohende Klimaerwärmung skizziert:
Die Verbrennung der Fossilstoffe stellt aber, jenseits der lokalen Luftverschmutzung, noch ein globales Wärmeproblem, das in einen seltsamen Wettlauf mit der Erschöpfung der Vorräte treten könnte. Es ist der »Treibhauseffekt«, der eintritt, wenn das bei der Verbrennung gebildete Kohlendioxyd sich weltweit in der Atmosphäre anreichert und wie die Glaswand eines Treibhauses wirkt, nämlich die Sonnenstrahlung einläßt, aber die Wärmerückstrahlung von der Erde nicht herausläßt. Ein so eingeleitetes und von uns weitergespeistes Ansteigen der Welttemperatur (das von einem gewissen Sättigungsgrad an sogar ohne weitere Verbrennung fortführe) könnte zu Dauerfolgen für Klima und Leben führen, die niemand will – bis zum katastrophalen Extrem von Polareisschmelze, Steigen des Ozeanspiegels, Überflutung großer Tieflandflächen … So würde das leichtsinnig-fröhliche Menschenfest einiger industrieller Jahrhunderte vielleicht mit Jahrtausenden veränderter Erdenwelt bezahlt werden […]. (Das Prinzip Verantwortung, 1979 S. 333f)
Ein Grundgedanke von Jonas ist: „Macht im Verein mit Vernunft führt an sich Verantwortung mit sich.“ (S. 248) Für den zwischenmenschlichen Bereich war dies seit jeher plausibel. Nun aber hat die Zivilisation Auswirkungen globalen Ausmaßes und ihre Macht erstreckt sich auf die Biosphäre und „das künftige Überleben der Menschenart“.
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Der neue Imperativ
Jonas nimmt die präzedenzlose Lage der Menschheit, diese erstmalige Fähigkeit zur Selbstvernichtung – auf jeden Fall Selbstgefährdung – zum Anlass, folgenden Imperativ zu formulieren:
»Handle so, daß die Wirkungen deiner Handlung verträglich sind mit der Permanenz echten menschlichen Lebens auf Erden«; oder negativ ausgedrückt: »Handle so, daß die Wirkungen deiner Handlung nicht zerstörerisch sind für die künftigen Möglichkeiten solchen Lebens«. (S. 36)
Nur wenige Jahre später, ab 1982 kam die Diskussion um den nuklearen Winter (eine Bezeichnung von Aleksandrov und Stenchikov 1983), auf, der im Falle eines Atomkrieges droht und tatsächlich die Existenz der Menschheit infrage stellen könnte. Robok et al. haben diese Theorie 2007 einer erneuten Prüfung anhand moderner Klimamodelle unterzogen und resümieren: „Still catastrophic consequences“.
Jonas schätzt diese Bedrohung zwar als gravierend ein. Er weist aber darauf hin, dass sie sich ja nur realisiert, wenn tatsächlich Verantwortliche so verantwortungslos sind, auf den Knopf zu drücken. Dagegen sind andere Gefahren dabei, unaufhaltsam anzuwachsen allein dadurch, dass wir weiterhin so leben wie wir es tun. Er denkt neben der Klimaerhitzung an die Zerstörung von Ökosystemen, die das Aussterben von Arten zur Folge hat, an die Belastung der Ökosphäre durch Schadstoffe, auch an die künftigen Möglichkeiten der Gentechnologie, insbesondere bei ihrer Anwendung auf den Menschen, und an das globale Bevölkerungswachstum mit seinem problematischen Folgen.
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Die Natur als menschliches Treugut
Dabei ist für ihn die außermenschliche Natur, die Biosphäre von besonderer Bedeutung. Denn sie ist jetzt auch „unserer Macht unterworfen“. Damit sei sie aber
ein „menschliches Treugut geworden“, das „so etwas wie einen moralischen Anspruch an uns hat – nicht nur um unseretwillen, sondern auch um ihrer selbst willen und aus eigenem Recht. … [E]in stummer Appell um Schonung ihrer Integrität scheint von der bedrohten Fülle der Lebenswelt auszugehen.“ „Für eine solche Treuhänderrolle hat keine frühere Ethik (außerhalb der Religion) uns vorbereitet – und die herrschende wissenschaftliche Ansicht der Natur noch viel weniger.“ (S. 29)
Jonas argumentiert, dass wir,
da wir von der Natur hervorgebracht sind, „dem verwandten Ganzen ihrer Hervorbringungen eine Treue [schulden], wovon die zu unserem eigenen Sein nur die höchste Spitze ist. Diese aber, recht verstanden, befaßt alles andere unter sich.“
Wir sind als Menschen Hervorbringungen aus dem Strom des Lebens auf diesem Planeten. Können wir unsere Existenz bejahen und behaupten, ohne das mit uns verwandte Ganze zu bejahen und zu schützen? Können wir unsere eigene Existenz mit all unserer Ethik würdigen und absichern und gleichzeitig dem mühseligen Prozess unserer Entstehung jeden Respekt verweigern?
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Der Genpool der Arten
Für Jonas ist jede „willkürliche und unnötige Auslöschung von Arten“ „zum Verbrechen“ geworden:
es wird zur transzendenten Pflicht des Menschen, die am wenigsten wiederherstellbare, unersetzbarste aller »Ressourcen« zu schützen – den unglaublich reichen Genpool, der von Äonen der Evolution hinterlegt worden ist. Es ist das Übermaß an Macht, das dem Menschen diese Pflicht auferlegt (Technik, Medizin und Ethik, 1985 S. 47)
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Naturalistischer Fehlschluss?
Man hat Jonas einen naturalistischen Fehlschluss vorgeworfen. Aus dem, was ist, kann nicht gefolgert werden, dass es sein soll. Dass also eine Art, ein Lebewesen, eine Landschaft existiert, heißt nicht, dass sie auch (so) sein soll.
Jonas meint, es sei ein Dogma unserer Zeit, „daß sich aus dem Sein kein Sollen ableiten läßt“ (S. 92). Dies trifft nach Jonas aber „nur auf einen Begriff von Sein zu, für den, da er schon in entsprechender Neutralisierung (als »wertfrei«) konzipiert ist, die Unableitbarkeit eines Sollens eine tautologische Folge ist“. Dieser Begriff von Sein spiegele „bereits eine bestimmte Metaphysik wider, die nur den kritischen (Occamschen) Vorzug vor anderen für sich behaupten kann, daß sie die sparsamste Annahme vom Sein macht (damit natürlich auch die ärmste für die Erklärung der Phänomene …).“ Dass ein Sein ein Sollen dieses Seins impliziert, kann natürlich keine logische Schlussfolgerung darstellen. Es ist eine metaphysische Behauptung, eine Behauptung allerdings, zu deren intuitiver Bejahung wir uns vermutlich fähig fühlen.
Braucht es nicht, um etwas, das ist, zu vernichten, eine stärkere Begründung als dafür, es im Sein zu lassen? Hat nicht das Sein solange eine Berechtigung zu sein wie es keine guten Gründe für seine Vernichtung gibt? Wir haben gesehen, dass Jonas sogar bei biologischen Arten eine Vernichtung ethisch nicht generell verdammt. Er würde sich also sehr wohl für die Vernichtung des Malariaerregers und anderer Krankheitserreger aussprechen. Dies führt allerdings zu einer weiteren Thematik:
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Hierarchie des Seins?
In der Wahl zwischen Mensch und Natur, wie sie sich im Daseinskampf von Fall zu Fall immer wieder stellt, kommt allerdings der Mensch zuerst und die Natur, auch wenn ihr Würde zugestanden ist, muss ihm und seiner höheren Würde weichen. (S. 246)
Einer solchen Position wird schnell Anthropozentrismus vorgeworfen. Zeigen nicht alle Lebewesen durch ihre Existenz, dass sie optimal angepasst sind, dass sie am bisherigen Endpunkt einer erfolgreichen Evolution stehen? Woher sollte ein Maßstab für eine Höherbewertung kommen? Nun ist Jonas aber der Meinung, dass Subjektivität etwas Neues in der Evolution ist, so wie das Leben etwas Neues in der Entwicklung des Kosmos ist. Leben fügt dem Kosmos eine neue Qualität ebenso hinzu wie die Fähigkeit zur Subjektivität dem Lebendigen. Es gibt Grade der Komplexität und diese lässt sich sinnvoll definieren als Differenziertheit bei gleichzeitiger Integration. Die Subjektivität ist dabei nicht „von außen“ hinzugekommen, sondern die Natur konnte sie (als etwas qualitativ Neues) hervorbringen:
„Das Sein, oder die Natur, ist eines und legt Zeugnis von sich ab in dem, was es aus sich hervorgehen läßt. Was das Sein ist, muß daher seinem Zeugnis entnommen werden, und natürlich dem, das am meisten sagt, dem offenbarsten, nicht dem verborgensten, dem entwickeltsten, nicht dem unentwickeltsten, dem vollsten, nicht dem ärmsten – also dem uns zugänglich »Höchsten«“. (S. 92f)
Und das ist für Hans Jonas: der Mensch.
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Vom Existenzialismus zur Gnosis
Als Jonas auf die Vermittlung von Bultmann bei Heidegger seine Dissertation schrieb, ging es ihm darum, mit Hilfe der Heideggerschen Existenzanalyse das Phänomen der Gnosis zu deuten. Die »Daseinshaltung« der Gnosis lässt sich so beschreiben: „Die Welt ist ein feindlicher Ort, und Gott hat sich ganz aus ihr zurückgezogen; der Mensch ist in dieser Welt gefangen wie in einem Kerker, seine eigentliche Seele aber, das pneuma, kann durch den Aufstieg zum göttlichen Jenseits gerettet werden.“ (Hans Bajohr in Briefwechsel Hans Blumenberg und Hans Jonas, Suhrkamp 2022, S. 292) Jonas sah hier ein „antikes Pendant zu Heidegger“ und dem Existenzialismus, der ja auch die Geworfenheit in eine gleichgültige Welt herausstreicht.
„Der Gedanke, daß nicht nur gewisse Existenzeinsichten Heideggers bereits bei den Gnostikern vorabgebildet waren, sondern Heidegger selbst in seinem Denken eine Art gnostisches Phänomen der Gegenwart darstellte, wurde mir erst viel später bewußt, als ich von der Heidegger-Verehrung viel freier geworden war.“ (Jonas: Erinnerungen S. 119)
Nie habe sich eine Philosophie „so wenig um die Natur gekümmert wie der Existentialismus, für den sie keine Würde behalten hat“. Jonas aber geht es um eine Philosophie des Lebens.
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Philosophie des Lebens
Jonas hatte schon in Briefen an seine Frau aus Zypern und Italien Skizzen für eine Philosophie des Lebens entwickelt. Diese wurden von Jonas weiterbearbeitet und in Organismus und Freiheit 1973 veröffentlicht, 1977 in einer neue Fassung unter dem Titel: Das Prinzip Leben. Auch für Albert Schweitzer war das Leben das maßgebliche Phänomen gewesen, das ihn zu seiner Ethik der Ehrfurcht vor dem Leben inspirierte. Der Mensch teilt seinen Willen zum Leben mit allem Lebendigen. Jonas aber ist fasziniert von der gesamten evolutiven Entwicklung, von der Einzigartigkeit der Biosphäre, dem Zusammenspiel in Ökosystemen und der Entstehung von Subjektivität, die uns Menschen auszeichnet. Während Schweitzer – so sehr er es bedauerte – den Versuch eine Weltanschauung zu bilden für aussichtslos erklärt, und sich auf eine Lebensanschauung, eine Philosophie und Ethik des Lebens beschränkt, bleibt Jonas zum einen am Ganzen interessiert, zum anderen differenziert er innerhalb des Lebendigen entschiedener zwischen höher entwickelten Formen und einfacheren.
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Das Prinzip Verantwortung von 1979
Aktuelles und Links
Tagung zu Hans Jonas in der Katholischen Akademie Freiburg vom 12.–13. Mai 2023
Deutschlandfunkt Kultur. Philosophie aus den Archiven – Hans Jonas über die ökologische Zeitbombe
Hans Jonas Gesellschaft
Hans Jonas Zentrum Siegen
Hans Jonas Institut der Universität Siegen
Leo Baeck Institute New York | Berlin – Hans and Eleonore Jonas Collection
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Erinnerungen
Hans Jonas wurde 1903 in Mönchengladbach geboren. Er starb 1993 in seinem langjährigen Wohnort New Rochelle. Sein Vater war ein angesehener Textilfabrikant, der schon früh als Ältester von 10 Kindern Verantwortung getragen hat und deshalb nie die Bildung erwerben konnte, die er aber seinen Kindern gönnte. Jonas konnte also völlig frei wählen, was er studieren wollte.
Es lebte darin irgend etwas von einer alten jüdischen Tradition fort, wonach der gelehrte Sohn der beste war.
So Hans Jonas in den Erinnerungen (S. 79).
Die Mutter war eine Rabbinertochter, die aber, als sie geheiratet hat, die Kaschrut, also die Befolgung der jüdischen Speisegesetze im Hause Jonas abschaffte. Jonas schildert sie als äußerst mitfühlend und immer bemüht, Leid und Not zu lindern.
Zu den schärfsten Auseinandersetzungen im Hause Jonas kam es, als Hans sich dem Zionismus zuwandte. Für die etablierten jüdischen Familien war der Zionismus eine verrückte Idee. Hatten nicht gerade besonders viele Juden als Kriegsfreiwillige am 1. Weltkrieg teilgenommen? Jonas erzählt, zum einen hätte er persönlich eben doch das Gefühl gehabt, nicht ganz dazuzugehören, obwohl er Goethe und Schiller besser kannte als seine Klassenkameraden, und auch Stolz. Und vor allem verfolgte er die politischen Entwicklungen aufmerksam, etwa die Ermordung Walther Rathenaus 1922. Er fing an Hebräisch zu lernen.
Als am 1. April 1933 der Tag des Juden-Boykotts ausgerufen wurde, beschloss Jonas Deutschland zu verlassen. Er konnte zu diesem frühen Zeitpunkt noch „völlig ordnungsgemäß auswandern“ und 1000 Pfund (12.000 Reichsmark) mitnehmen (Erinnerungen S. 130). Jonas wollte zwar nach Palästina, allerdings auch seinen Gnosis-Band für den Druck fertigstellen, so dass er zunächst nach London ging. Vandenhoeck & Ruprecht brachte sein Buch 1934 tatsächlich noch heraus und Bultmann schrieb ein Vorwort. Jonas traf noch Hannah Arendt und Günther Stern in der Emigration in Paris, seine Eltern noch in der Schweiz, wobei er versuchte, auch sie zur Ausreise zu überreden. 1935 zu Pessach kam Jonas in Jerusalem an. Ein Jahr später besuchten ihn seine Eltern in Israel, sein Vater starb „rechtzeitig“ 1938, während seine Mutter mit ihrem eigenen Ausreisezertifikat ihren jüngsten Sohn aus Dachau herausbekommen wollte und es dazu an ihn abtreten musste. Das gelang auch, aber sie wurde 1942 in Auschwitz ermordet, was Jonas aber erst 1945 erfuhr.
Jonas versucht sich in Israel einzuleben, lernt seine Frau Lore kennen, mit der er drei Kinder bekam. Sein erster Vortrag auf Hebräisch kostet ihn viel Zeit und Schweiß. Als England 1939 nach dem Einmarsch in Polen Deutschland den Krieg erklärt, ist er erleichtert und verfasst einen mehrseitigen Aufruf mit dem Titel: Unsere Teilnahme an diesem Kriege. Ein Wort an jüdische Männer:
dies ist unser Krieg. Es ist die Stunde, auf die wir mit Verzweiflung und Hoffnung im Herzen diese tödlichen Jahre gewartet haben: die Stunde, da es uns vergönnt sein würde, nach dem ohnmächtigen Erdulden jeder Schmach und jedes Unrechts, jeder physischen Beraubung und moralischen Schändung unseres Volkes, endlich unserem Todfeind Auge in Auge, mit der Waffe in der Hand zu begegnen …
Die Kirchen haben es begriffen, als sie – zum ersten Mal – diesen Kampf gegen das Judentum als Angriff auf ihre eigenen geistigen Grundlagen jüdischer Wurzel empfanden. …“ (S. 186)
„Ein Teil der Kirchen“ muss man wohl sagen. Jonas fährt fort:
„dieser ist ein antiheidnischer Kampf schlechthin und läßt in seinen elementaren Vereinfachungen plötzlich die gemeinsamen Grundlagen sichtbar werden, die unser Judentum mit der christlich abendländischen Kultur verbinden.“ (S. 194f)
Natürlich gab es den Konflikt, dass jüdische Kämpfer auch in Palästina gebraucht wurden. Mit dem Kriegseintritt Italiens 1940 war allerdings die Front bis nach Libyen vorgerückt, weil Libyen italienisches Kolonialgebiet war.
Jonas und Walter Groß wurden mit ihrer Bitte um Kriegsbeteiligung von den Engländern zunächst abgewiesen und von den Franzosen auf die Fremdenlegion verwiesen. Dort aber wären sie nicht als jüdische Kämpfer kenntlich gewesen. Nach dem Zusammenbruch Frankreichs kam eine Vereinbarung zwischen Großbritannien und der Hagana zustande. Churchill hat gegen den Widerstand seiner Generalität „den moralischen Sinn der jüdischen Sache und unserer Kriegsbeteiligung“ erkannt und veranlasst, dass wir aus „verschiedenen Waffengattungen zu einem einzigen militärischen Gebilde zusammengefasst wurden“, sogar mit eigenem Abzeichen. (S. 207) So wurde Jonas mit 37 Jahren in die First Palestine Aircraft Battery aufgenommen. (S. 204) Aus dem befreiten Italien berichtet Jonas seiner Frau , dass viele Italiener Juden versteckt hatten. Die erste Konfrontation mit den Gräueln der Konzentrationslager ereignete sich bei Landsberg, als befreite Juden den jüdischen Soldaten entgegen kamen und es kaum fassen konnten, jüdische Soldaten zu sehen. (Vgl. S. 216)
Jonas erfährt vom Tod seiner Mutter, hat zwiespältige Wiederbegegnungen, und sucht seinen Verlag in Göttingen auf, der tatsächlich die Druckfahnen für sein Gnosisbuch sicher eingelagert hat, so dass sie noch nutzbar sind.
1945–1948 lebte Jonas mit seiner Frau in einem arabischen Dorf oberhalb Jerusalems, in einem Haus ohne Strom und fließendem Wasser. Mit der UN-Abstimmung über die Staatsgründung Israels konnte der arabische Hausbesitzer ihre Sicherheit nicht mehr garantieren und sie zogen nach Westjerusalem.
Auf Vermittlung von Leo Strauss erhielt Jonas eine Lehrtätigkeit in Kanada, später in New York 1955–1976 an der New School for Social Research. Rufe auf deutsche Lehrstühle für Philosophie lehnte er ab. (S. 243–277)
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Hans Jonas und Hannah Arendt
Die beiden waren bis zum Tod von Hannah Arendt 1975 eng befreundet. Als Jonas in seinem Philosophiestudium Martin Heidegger folgend nach Marburg ging, besuchte er wie andere Heidegger-Schüler auch Seminare beim Neutestamentler Rudolf Bultmann. Und in einem Seminar bei diesem evangelischen Theologen waren sie die einzigen Juden und lernten sich so 1924 kennen, Arendt 18, Jonas 21 Jahre alt. Arendt erzählte Jonas, wie sie sich – als eigentlich Philosophiestudentin – zur Teilnahme am Seminar bei Bultmann vorstellte. Bultmann reagierte positiv und Hannah Arendt sagte: „Aber eines möchte ich von vornherein klarstellen: Antisemitische Bemerkungen lasse ich mir nicht gefallen!“ Darauf habe Bultmann geantwortet: „Fräulein Arendt, ich denke, wenn so etwas vorkommen sollte, werden Sie und ich zusammen die Sache gut bewältigen.“ (Jonas, Erinnerungen S. 111) Jonas meint, Arendt sei das gewesen, was man im Englischen tough nennt (S. 113). Übrigens hat der Vater von Hans Jonas, ihn einmal in Marburg besucht, auch Hannah kennengelernt und darauf Erkundigungen über ihre Familie (mit positivem Ergebnis) eingeholt, was Hannah Arendt erfuhr und Hans amüsiert erzählte.
Zum zeitweiligen Bruch mit Hannah Arendt kam es nach deren Buch Eichmann in Jerusalem.
Jonas kritisiert die „sarkastische Art, mit der sie sich über die Rolle der Juden und den vorhitlerschen Zionismus äußerte.“ (Erinnerungen S. 290.) Nach Jonas wusste Arendt wenig über das Judentum (sie kannte das Neue Testament besser als die hebräische Bibel) und über die Geschichte des Antisemitismus, so dass sie „tatsächlich imstande“ war, „zu sagen, die These von der Ewigkeit des Antisemitismus sei eine zionistische Erfindung, die vom Ende des 19. Jahrhunderts stammte. Sie kannte nicht einmal die Pessach-Haggada, worin steht. »Von Geschlecht zu Geschlecht, seit Pharao stand man auf, um uns zu vernichten.«“ (S. 291) Sie gab nach Jonas den Juden eine „Mitschuld an der Shoa, anstatt die erzwungene Mitwirkung an der eigenen Vernichtung als tragischen, schrecklichen Tatbestand zu schildern.“ So wie es nach Jonas Primo Levi in seinem Buch Die Untergegangenen und die Geretteten getan habe.
Zudem verkannte sie nach Jonas, dass man bei Eichmann nicht von der Banalität des Bösen sprechen kann, weil er genuiner Antisemit war, wie seine Äußerung zeigt: »Und wenn wir den Krieg verlieren – eines will ich doch erreichen, daß die Juden vernichtet werden.« (S. 292)
Jonas versuchte, mit Hannah Arendt über seine Einwände zu sprechen. Aber sie war dafür unzugänglich und so kam es eine Zeit lang keinen Kontakt bis Lore Jonas ihren Mann überzeugen konnte, den Kontakt wieder zu suchen. „Und so war unsere Freundschaft schnell wieder die alte.“ (S. 293)
Als Jonas ihr später Passagen aus seinem Manuskript des Prinzips Verantwortung gab, um ihre Meinung dazu zu erfahren, sagte sie ihm anschließend:
Bevor ich anfange über Einzelheiten mit dir zu sprechen, will ich nur sagen: Soviel steht fest für mich, das ist das Buch, das der Herrgott mit dir im Sinn gehabt hat. (S. 324)
Bei seiner Trauerrede bei der Bestattung von Hannah Arendt sagte Hans Jonas:
Ihr Fortgang ist ein erschütternder Schlag, und da sie ein Genie der Freundschaft war, wird es viele geben, die sich in ihrem persönlichen Leben jetzt unendlich viel ärmer fühlen. … Das Denken war ihre Leidenschaft, bei ihr war Denken eine moralische Tätigkeit. … Alles, was sie zu sagen hatte, war von Bedeutung, oft herausfordernd, bisweilen verkehrt, doch niemals trivial, niemals belanglos, immer unvergesslich. Selbst ihre Irrtümer waren bedeutender als die Richtigkeiten vieler kleinerer Geister.
Zitate von Hans Jonas aus dem Prinzip Verantwortung
Tierschutz
„Die letzte Erniedrigung sinnen- und bewegungsbegabter, fühlender und lebenseifriger Organismen zu umweltberaubten, lebenslang eingesperrten, künstlich beleuchteten, automatisch gefütterten Lege- und Fleischautomaten hat mit Natur kaum noch etwas gemein…“ (S. 372)
Wildnis
„Das von Bloch nicht gesehene Paradox ist, daß gerade die vom Menschen nicht veränderte und nicht genutzte, die ‘wilde’ Natur die ‘humane’, nämlich zum Menschen sprechende ist, und die ganz ihm diestbar [sic] gemachte die schlechthin ‘inhumane’. Nur das geschonte Leben offenbart sich.“ (S. 373f)
Ehrfurcht
„Auch Ehrfurcht und Schaudern sind wieder zu lernen, daß sie uns vor Irrwegen unserer Macht schützen (zum Beispiel vor Experimenten mit der menschlichen Konstitution).“ (S. 392) „Die Ehrfurcht allein, indem sie uns ein »Heiliges«, das heißt unter keinen Umständen zu Verletzendes enthüllt (und das ist auch ohne positive Religion dem Auge erscheinbar) wird uns auch davor schützen, um der Zukunft willen die Gegenwart zu schänden, jene um den Preis dieser kaufen zu wollen.“ (S.393)
Wer vertritt die Zukunft?
„Die Zukunft … ist in keinem Gremium vertreten; sie ist keine Kraft, die ihr Gewicht in die Waagschale werfen kann. Das Nichtexistente hat keine Lobby und die Ungeborenen sind machtlos.“ (S. 55) „Welche Kraft soll die Zukunft in der Gegenwart vertreten?“ (S. 56)