Die Proportion von zerdrücktem Gesichtchen und riesiger Stirn und sonstigem Kopf, die gespreizten Zehen, die sich vom dunklen Hintergrund abheben als wollten sie ein Zeichen geben: Hallo hier bin ich! Achtung, mit mir müsst ihr noch rechnen! Ja es hat für mich fast eine Ähnlichkeit mit den Jesusbildern, in denen Jesus als Lehrer die Finger empor hält. Dix hat im selben Jahr seine Familie auch in Analogie zur Heiligen Familie dargestellt, so dass es nicht so abwegig ist zu sagen, er erfährt in der Geburt seines Kindes die Geburt des göttliches Kindes.
Wie die Falten des Neugeborenen mit den Falten des Alters korrespondieren, des Alters der Hände, die ihn tragen, – und wie gekonnt sie ihn tragen! sorgfältig den Kopf halten.
Ein Kind so frei hinauszuhalten ist ja gar nicht so einfach.
Und das ist vielleicht das, was mich an dem Bild am meisten fasziniert, wie hier ein Menschenkind in der Welt erscheint. Gewiss es ist von seiner Mutter geboren worden, und es wird von Händen gehalten, aber da ist es nun, auch ganz für sich.
Was ist eine Supernovaexplosion gegen ein neu ins Leben tretendes Ich? „Für den, der die Unendlichkeit des Alls recht anschauet und durchfühlt, ist es etwas Furchtbares und Großes, nur zu existieren.“ (Jean Paul) Das mag irgendwann dieses Kind auch empfinden, wenn es seiner selbst bewusst wird.
Philosophen zur Zeit von Dix bezeichneten den Menschen als einen in die Welt, ins Dasein Geworfenen. Könnte man mit diesem Bild sagen, der Mensch ist ein ins Dasein Gehaltener?
Ein Kind braucht Halt, Angenommensein, auch dann, wenn es etwas angestellt hat. Es bleibt für uns auch als Erwachsene eine unsagbar wichtige Erfahrung, wenn wir – sei es in einer engen Beziehung zu einem Freund, einer Partnerin, sei es in einer therapeutischen Beziehung – ansonsten tief verschlossene Gefühle, vielleicht Enttäuschung, Kränkung, Ärger, Angst äußern dürfen im Wissen, dass wir gehalten sind, dass wir damit nichts zerstören, nichts gefährden, weil der Halt, den wir erleben, stärker ist.
Schade, dass wir uns das so selten geben, so schnell uns rechtfertigen, trösten, sonst was machen, statt: einfach den anderen auszuhalten, zu halten.
Das stärkt das Vertrauen und – wie Goethe sagte: Sobald du vertraust, sobald weißt du zu leben.
Ecce homo! Siehe, was für ein Menschenkind! Was wohl alles in ihm steckt an Entwicklungsmöglichkeiten?! Wenn, ja wenn sie nicht unterbunden werden.
Sind so kleine Hände, winzige Finger dran.
Darf man nie drauf schlagen, die zerbrechen dann.
Sind so kleine Füße, mit so kleinen Zehen.
Darf man nie drauftreten, könn sie sonst nicht gehn.
Gerade, klare Menschen, wären ein schönes Ziel.
Leute ohne Rückgrat, haben wir schon zuviel.Bettina Wegener