Reicht´s? Gedan­ken zu einer Ethik der Genügsamkeit

Es sind natür­lich die kri­sen­haf­ten Pro­zes­se in unse­re Zeit (Kli­ma­kri­se, Arten­ster­ben, Plas­tik im Meer), die uns mit der Fra­ge bedrän­gen, ob wir uns unse­re Ansprü­che und unse­re Erwar­tun­gen an Kon­sum noch leis­ten kön­nen, noch leis­ten kön­nen mate­ri­ell ange­sichts der knap­pen Res­sour­cen bzw. der begrenz­ten Trag­fä­hig­keit der Erde, – noch leis­ten kön­nen aber auch ethisch ange­sichts der ekla­tan­ten Ungleich­heit im Res­sour­cen­ver­brauch und der Abfall­pro­duk­ti­on (inklu­si­ve CO2) sowie der Ungleich­heit der öko­lo­gi­schen Fuß­ab­drü­cke; und schließ­lich noch leis­ten kön­nen ange­sichts der fort­ge­setz­ten Ver­ar­mung und Beschä­di­gung des pflanz­li­chen und tier­li­chen Lebens, unse­rer Um- und Mit­welt.

Grund genug, die Fra­ge nach dem, was aus­reicht, was genügt, was gutes Leben aus­macht, zu stellen.

Genügsamkeit – Mäßigung – Verzicht

Im Jah­re 1947 erreich­te die Ver­wen­dungs­häu­fig­keit des Wor­tes Genüg­sam­keit ein All­zeit­hoch (in der pro­zen­tua­len zah­len­mä­ßi­gen Ver­wen­dung), nur um 1952 auf einen Tief­stand zu fal­len, und befin­det sich seit­dem wei­ter kon­ti­nu­ier­lich im Rück­gang. Inter­es­san­ter­wei­se stieg aber in der Auf­schwung­pha­se der Bun­des­re­pu­blik die Ver­wen­dung des Begrif­fes Kon­sum­ver­zicht bis in die Mit­te der 70er Jah­re an. Seit­dem aller­dings wird auch von Kon­sum­ver­zicht immer weni­ger gespro­chen.[1]

Häufigkeit der Begriffe Genügsamkeit, Askese etc. im 20. Jahrhundert

Häu­fig­keit der Begrif­fe Genüg­sam­keit, Aske­se etc. im 20. Jahr­hun­dert nach Goog­le Ngram Viewer

Genüg­sam­keit kann man sich ver­bun­den den­ken mit einem „Still-ver­gnügt-sein“. Das Wort ver­harm­lost aber nicht, weil es durch­aus den Gedan­ken ein­schließt, dass ande­res (als das, was genug ist), eben nicht sein muss. Von Mäßi­gung zu reden[2] wirkt dage­gen mora­lisch und defen­siv, die Ankla­ge gegen den Exzess ist  mit­zu­hö­ren. Von daher ist Mäßi­gung stra­te­gisch betrach­tet auch kein guter Frame, um mit Eli­sa­beth Weh­ling zu spre­chen[3]. Das Wort Ver­zicht hin­ge­gen ist pro­ble­ma­tisch, denn es tut ja so, als wäre klar, dass es etwas Wert­vol­les ist, auf das man da „ver­zich­tet“. Das kann zwar durch­aus sein, ist in unse­rem Kon­text aber noch zu ana­ly­sie­ren; vor allem lässt uns ein Ver­zicht (so die Kon­no­ta­ti­on) schein­bar arm und nackt zurück, wäh­rend Genüg­sam­keit den Blick auf das Wesent­li­che lenkt, das uns nicht genom­men wird.

[1] Die Gra­fik wur­de erstellt mit Goog­le Books Ngram View­er: https://books.google.com/ngrams.
[2] Tho­mas Vogel: Mäßi­gung. Was wir von einer alten Tugend ler­nen kön­nen, Mün­chen: oekom, 2018.
[3] Weh­ling, Eli­sa­beth: Poli­ti­sches Framing. Wie eine Nati­on sich ihr Den­ken ein­re­det – und dar­aus Poli­tik macht (Edi­ti­on Medi­en­pra­xis), Köln 2016.

Auch ange­sichts die­ses Abwärts­trends, und ange­sichts der genann­ten Moti­ve liegt die Fra­ge nahe, ob eine Ethik der Genüg­sam­keit also nur aus der Not gebo­ren ist,

  • 1947 aus der Not des Hun­gers und der har­ten Nachkriegszeit,
  • heu­te aus der Not: »so geht das nicht wei­ter; es nicht nach­hal­tig und sogar gefährlich!«
  • aus der sozi­al-ethi­schen Not, denn: »die­se Unge­rech­tig­keit ist empörend!«
  • oder schließ­lich öko-ethisch: Wir las­sen der Natur kei­ne Luft mehr zum Atmen, wir müs­sen uns zurück­neh­men und das Eigen­recht der natür­li­chen Mit­welt, der Schöp­fung, anerkennen.

Es gibt und gab schon in der Ver­gan­gen­heit einen wei­te­ren Grund für eine Ethik der Genüg­sam­keit, näm­lich das Unbe­ha­gen an einer beschleu­nig­ten und künst­li­chen Kul­tur, und von der kön­nen wir etwas ler­nen. Ich nen­ne z.B. David Tho­reau.

Unbehagen an der Kultur

1839 hat­te er in sein Tage­buch notiert: »Ich möch­te (nach) mei­nen Instink­ten leben, einen unge­trüb­ten Ein­druck in die Natur bekom­men und mit allen mir ver­wand­ten Ele­men­ten in freund­li­chem Ein­klang ste­hen.« So leb­te er als ame­ri­ka­ni­scher Asket in sei­nem selbst­ge­bau­ten ein­ge­schos­si­gen Block­haus von drei mal vier­ein­halb Meter Grundfläche.

»Wie in einem natur­wis­sen­schaft­li­chen Expe­ri­ment sor­tiert Tho­reau alles Unwich­ti­ge aus sei­nem Leben aus, um sich der Kern­fra­ge nach den wah­ren Bedürf­nis­sen des Men­schen zu nähern. Er spürt, dass es erstaun­lich wenig an mate­ri­el­len Din­gen ist, das er braucht: Nah­rung, Woh­nung, Klei­dung und Brenn­ma­te­ri­al. An geis­ti­gen Wer­ten: Unab­hän­gig­keit, Groß­mut, Ver­trau­en.«[1]

Ich ver­mu­te, dass die meis­ten unter uns ver­su­chen, dem Sog des „Immer-mehr“ zu wider­ste­hen und danach stre­ben, ihr Leben zu ver­schlan­ken, zu ver­ein­fa­chen. Und kon­ti­nu­ier­lich gibt es inne­re und äuße­re Kräf­te, die dem ent­ge­gen­wir­ken. Tho­reau muss Schul­den einer Kopf­steu­er beglei­chen, wei­gert sich aber, kommt einen Tag ins Gefäng­nis, jemand begleicht die Schul­den, viel­leicht sein Freund Ralph Wal­do Emer­son, auf des­sen Land­be­sitz er auch sei­ne Hüt­te bau­en konnte.

Sym­pa­thisch ist mir Tho­reau dar­in, dass er ande­re Men­schen nicht ver­ur­teilt, eher bemit­lei­det und über eine hart­nä­cki­ge Hei­ter­keit ver­füg­te, übri­gens auch ange­sichts sei­ner chro­ni­schen Tuber­ku­lo­se und sei­nem sich abzeich­nen­den frü­hen Tod mit 44 Jah­ren im Jahr 1862. Wun­der­bar auch sei­ne schrift­stel­le­ri­schen Fähig­kei­ten, wenn er z.B. über den Genuss eines Son­nen­auf­gangs schreibt:

„Aller­dings, ich half der Son­ne nicht wesent­lich beim Auf­ge­hen, aber zwei­fel­los war allein schon mei­ne Anwe­sen­heit bei die­sem Ereig­nis von aller­höchs­ter Wich­tig­keit.“[2]

[1] Tho­reau, Hen­ry David: Wal­den oder Leben in den Wäl­dern, eBook-Ori­gi­nal­aus­ga­be, eClas­si­ca 2013, Vor­wort des Herausgebers.
[2] A.O. 1. Kapi­tel Ökonomie.

Ethi­ken der Genüg­sam­keit sind fast aus­nahms­los im Gegen­über zu dem Ange­bot des Über­flüs­si­gen, also als Ver­wei­ge­rung und Begren­zung geformt wor­den, als man noch nicht die Beden­ken hat­te, ob die Exis­tenz der Mensch­heit auf dem Pla­ne­ten gefähr­det ist, als man noch nicht die Gerech­tig­keits­fra­ge stell­te, als man noch nicht Sor­gen um die mit­welt­li­che Krea­tur hat­te. Das waren jeden­falls noch nicht die Sor­gen von Dio­ge­nes in der Ton­ne, der gesagt hat, es sei gött­lich, nichts zu bedür­fen, und gott­ähn­lich, nur wenig zu haben oder von Bud­dha, der aus dem Palast der Fami­lie flieht.

Der kul­tur­kri­ti­sche Leit­spruch der Stoi­ker war: „der Natur ent­spre­chend leben“ bzw. in der „Nach­fol­ge der Natur leben“[1].

Sene­ca meint, die Natur sei nicht so unfair gewe­sen, nur „allen ande­ren Lebe­we­sen einen leich­ten Lebens­weg“ zu geben, wäh­rend der Mensch nicht ohne so vie­le Erfin­dun­gen leben konn­te. Er behauptet:

„Alles steht schon zur Ver­fü­gung, sind wir gebo­ren wor­den: … Obdach, Klei­dung, Warm­hal­ten des Kör­pers, Nah­rung und was jetzt unter unge­heu­rer Geschäf­tig­keit beschafft wor­den ist, war zur Hand, ohne Auf­wand und mit gerin­ger Mühe zu beschaf­fen: denn das Maß war von Fall zu Fall der Bedarf; wir haben die­se kost­spie­li­gen, wir die­se stau­nens­wer­ten, wir die­se mit bedeu­ten­den und zahl­rei­chen Fer­tig­kei­ten zu befrie­di­gen­den Bedürf­nis­se geschaf­fen. Es reicht aus die Natur für das, was sie for­dert. Von der Natur [aber] hat sich die Genuß­sucht los­ge­sagt, sie reizt sich täg­lich, wächst in soviel Jahr­hun­der­ten und för­dert durch ihren Ein­falls­reich­tum Fehl­hal­tun­gen. Zunächst hat sie begon­nen, Über­flüs­si­ges zu begeh­ren, dann Natur­wid­ri­ges, zuletzt hat sie den Geist dem Kör­per unter­ge­ord­net und sei­ner Gier zu die­nen gehei­ßen.“[2]

Also: zunächst haben wir nach Sene­ca Über­flüs­si­ges begehrt, dann Natur­wid­ri­ges, was uns eher scha­det als nützt, und dann sind wir zu Skla­ven die­ses Stei­ge­rungs­wahns gewor­den. So die Betrach­tungs­wei­se eines Römers des 1. Jahr­hun­derts.[3]

[1] So schon Zen­on von Kiti­on bei Dio­ge­nes Laer­ti­us VII, 87 (Leben und Mei­nun­gen berühm­ter Phi­lo­so­phen, hg.v. Klaus Reich, Ham­burg: Felix Mei­ner Ver­lag, 2015, S. 374).
[2] Sene­ca: Ad Luci­li­um XIV,90,18, übers. v. M. Rosen­bach, Darm­stadt, Phi­lo­so­phi­sche Schrif­ten IV, Darm­stadt 2. Aufl. 1987, S. 353–355.
[3] „Leicht zu beschaf­fen und zur Stel­le ist, was die Natur ver­langt, für Über­flüs­si­ges gerät man ins Schwit­zen.“ I,4,10f „Stroh deck­te Freie, unter Mar­mor und Gold haust die Knecht­schaft.“ XIV,90,10 (S. 349). „Was die Kurz­schrift, mit der auch eine tem­pe­ra­ment­vol­le Rede fest­ge­hal­ten wird und der Schnel­lig­keit der Zun­ge die Hand folgt? Bil­ligs­ter Skla­ven Auf­ga­be sind die­se Din­ge: die Weis­heit thront auf höhe­rem Sitz und lehrt nicht die Hän­de – der See­le Leh­re­rin ist sie.“ (359)

Eine par­al­le­le Be- und Fort­schrei­bung fin­den wir bei dem Wachs­tums­kri­ti­ker Niko Paech:

„Die Geschich­te des öko­no­mi­schen Fort­schritts lässt sich eben auch [so] … erzäh­len: Erst kommt die Befrei­ung von Unmün­dig­keit, Knapp­heit und Not, dann der Über­fluss und zuneh­mend gren­zen­lo­se Selbst­ver­wirk­li­chung, irgend­wann wird die Zeit zum Eng­pass­fak­tor und die Kon­sum­ver­stop­fung lei­tet zum Burn-out über. Am Ende mau­sert sich die Depres­si­on zur Zivi­li­sa­ti­ons­krank­heit Num­mer eins – aus­ge­rech­net in pro­spe­rie­ren­den Wohl­stands­ge­sell­schaf­ten.“[1]

Dann wäre eine Ethik der Genüg­sam­keit auch ein Akt der Selbst­be­haup­tung und Befrei­ung von einem destruk­ti­ven Stru­del, in den wir geris­sen werden.

Fast kann man sagen, „natür­lich“ ist das Zuviel, das Kunst­stück ist das Weni­ger.

Nicht umsonst ist die Lebens­phi­lo­so­phie des Mini­ma­lis­mus ent­stan­den. Eine You­tube­rin, Mini­mal Mini nennt sie sich, berich­tet sehr ein­drück­lich über ihren seit 5 Jah­ren prak­ti­zier­ten Lebens­stil des Mini­ma­lis­mus.[2] Weni­ger Klei­der, unver­packt ein­kau­fen, mini­ma­lis­ti­sche Ein­rich­tung, wei­ße Wän­de etc. Sie beschreibt dies als Ergeb­nis ihrer durch einen Film über bud­dhis­ti­sche Mön­che ange­sto­ße­ne Selbst­fin­dung nach einer Pha­se der Sinn­su­che und Iden­ti­täts­kri­se. Die Video­auf­nah­men zei­gen eine ästhe­tisch sehr anspre­chen­de Ein­rich­tung bzw. anspre­chen­de Einrichtungsgegenstände.

Wie aber schon die Nut­zung von You­tube zeigt, möch­te sie kei­nes­wegs auf aus­ge­wähl­te Errun­gen­schaf­ten der Zivi­li­sa­ti­on ver­zich­ten, erkennt sie viel­mehr als ech­te Errun­gen­schaf­ten an.[3]

[1] Paech, Niko – Rauch, Clau­dia – Engel­mann, A. Uta: Öko­no­mie der Genüg­sam­keit, Her­ren­al­ber Forum Bd.85, S. 28.
[2] Vgl. https://www.youtube.com/c/MinimalMimi. (Zuletzt auf­ge­ru­fen am 01.04.2024)
[3] Schon Sene­ca war groß­zü­gig in sei­ner Schil­de­rung all des­sen was angeb­lich so ein­fach zu erhal­ten sei. „Aus ein­fa­cher Sor­ge besteht das Not­wen­di­ge: für Genuß­sucht müht man sich ab.“ (A. O. S. 351)

Die Dynamik der kulturellen Evolution

Wir kön­nen nicht das Leben von Samm­le­rin­nen und Jägern füh­ren, die tat­säch­lich kei­ne dau­er­haf­te Anhäu­fung anstre­ben (kön­nen) und damit auch nicht die Sor­ge um den Besitz oder um mehr oder weni­ger davon kennen.

Wir befin­den uns nicht mehr in die­sem „Urzu­stand“, wie­wohl er uns kör­per­lich, geis­tig, emo­tio­nal und sozi­al evo­lu­tio­när geprägt hat. Wir fin­den uns in einer Stei­ge­rungs­dy­na­mik vor – und ich möch­te gleich beken­nen, dass ich das nur bestau­nen kann und nicht ver­ur­tei­len. Der Rück­weg ist uns ver­sperrt, wir kön­nen nicht zurück und wol­len es wahr­schein­lich auch nicht wirklich.

Man kann anneh­men, dass die kul­tu­rel­len Erfin­dun­gen eine expo­nen­ti­el­le Ent­wick­lung zeigen.

Das wirft 2 Fra­gen auf.

Ers­tens: Warum kommt der Mensch, der doch die aller­al­ler­meis­te Zeit sei­ner Exis­tenz gut in ele­men­ta­rer Ein­fach­heit in Samm­le­rin­nen-Jäger-Kul­tu­ren über­le­ben konn­te, auf die Idee, all das zu erfin­den und zu ent­wi­ckeln? Wie kann er mit all den tech­ni­schen Gerä­ten zurecht kom­men? Und war­um sucht er wei­ter­hin Neu­es und Sti­mu­la­ti­on? Oder anders gewendet:

War­um haben wir so ein gro­ßes ener­gie­auf­wen­di­ges Luxus­or­gan wie das Gehirn, das sich offen­bar nie zufrie­den gibt, kaum genug Sti­mu­la­ti­on haben kann, immer ger­ne sich mit etwas Neu­em beschäf­tigt und dazu­ler­nen will?

Das ist für mich immer noch ein Mys­te­ri­um, auch wenn es aus evo­lu­ti­ons­bio­lo­gi­scher Sicht dazu eini­ge Ideen gibt. Als Theo­lo­ge kann ich den Men­schen nicht als Geschöpf Got­tes betrach­ten, ohne die­se dem Men­schen inne­woh­nen­de Ten­denz als Teil der guten Schöp­fung Got­tes zu betrachten.

Liegt da nicht – statt einer Ethik der Genüg­sam­keit – viel­mehr eine Ethik nahe, die zum Prin­zip macht, dass alle Lebe­we­sen, die Mög­lich­keit haben sol­len, ihre grund­le­gen­den Fähig­kei­ten aus­zu­schöp­fen und zu betä­ti­gen. Dies besagt näm­lich der über­zeu­gen­de ethi­sche Ansatz des Capa­bi­li­ty Approach (übli­cher­wei­se mit „Fähig­kei­ten­an­satz“ nicht sehr schön ins Deut­sche über­setzt) von Mar­tha Nuss­baum und auch Amar­tya Sen.

„Frau­en, die kei­nen Zugang zu Bil­dung haben; eine Bevöl­ke­rung, die unter man­gel­haf­ter Gesund­heits­vor­sor­ge lei­det; Bür­ge­rin­nen, deren Mei­nungs- und Gewis­sens­frei­heit ein­ge­schränkt wird – all dies sind Fäl­le einer Art von vor­zei­ti­gem Tod, in denen eine Form des Gedei­hens »abstirbt«, der wir mit Ach­tung und Stau­nen begeg­nen soll­ten. Dass Men­schen eine Chan­ce haben soll­ten, auf ihre eige­ne Wei­se zu gedei­hen, solan­ge sie ande­ren kei­nen Scha­den zufü­gen, ist eine tief im Fähig­kei­ten­an­satz ver­an­ker­te Intui­ti­on, […]“[1], die zu ent­spre­chen­den poli­ti­schen For­de­run­gen führt (Bil­dung, Gesund­heit etc.).

Wir ste­hen somit vor der immensen Her­aus­for­de­rung, bei­de ethi­schen Betrach­tun­gen inein­an­der zu ver­zah­nen: Eine Ethik des Gedei­hens und eine Ethik des Genü­gens. Sie bei­de haben das Ziel einer Ethik des guten Lebens. Zum guten Leben gehö­ren Ent­wick­lungs­mög­lich­kei­ten und Gedei­hen eben­so wie die Rück­sicht und Acht­sam­keit gegen­über ande­ren, der Natur und der Zukunft.

[1] Nuss­baum, Mar­tha C.: Jen­seits von „Mit­leid und Mensch­lich­keit“: Gerech­tig­keit für nicht­mensch­li­che Tie­re, in: Schmitz, Frie­de­ri­ke: Tier­ethik, Ber­lin: Suhr­kamp, 2. Aufl. 2015, S. 189.

Zwei­tens: Wie lang kann die expo­nen­ti­el­le Ent­wick­lung noch wei­ter­ge­hen? Die Erde ist end­lich, das mensch­li­che Gehirn ist end­lich. Ver­mut­lich gilt auch für die kul­tu­rel­le Ent­wick­lung, dass sie nicht auf Dau­er expo­nen­ti­ell wei­ter­ge­hen kann, wenn sie das über­haupt noch tut.

Es gibt Seg­men­te des Lebens, die sich in gewis­ser Wei­se bereits erschöpft haben. Ich den­ke an Berei­che der Kunst. Jede Avant­gar­de will die Ver­gan­gen­heit ent­stel­len, schreibt Umber­to Eco;

„dann geht die Avant­gar­de wei­ter, zer­stört die Figur, annul­liert sie, gelangt zum Abs­trak­ten, zum Infor­mel­len, zur wei­ßen Lein­wand, zur zer­ris­se­nen Lein­wand, zur ver­brann­ten Lein­wand; […] in der Lite­ra­tur die Zer­stö­rung des Rede­flus­ses bis hin zur Col­la­ge à la Bur­roughs, bis hin zum Ver­stum­men oder zur lee­ren Sei­te, in der Musik der Über­gang von der Ato­na­li­tät zum Lärm, zum blo­ßen Geräusch oder zum tota­len Schweigen […].
Die post­mo­der­ne Ant­wort auf die Moder­ne besteht in der Ein­sicht und Aner­ken­nung, daß die Ver­gan­gen­heit, […], auf neue Wei­se ins Auge gefaßt wer­den muß: mit Iro­nie, ohne Unschuld.“

Nach­dem nahe­zu alles durch­ge­spielt ist, leben wir in einer Welt der Zita­te und Mischun­gen und Inte­gra­tio­nen.[1]

Wir haben die Mög­lich­keit bzw. Schwie­rig­keit, unter all der Musik, unter all der Kunst die aus­zu­wäh­len, die wir genie­ßen wol­len. Und wenn wir uns getrie­ben füh­len, immer noch mehr und ande­res aus dem unge­heu­ren Schatz ken­nen­zu­ler­nen, wird das sehr sicher auf Kos­ten des Genie­ßens und der Inten­si­tät gehen. Beson­ders krass emp­fin­de ich dies bei E‑Books. Der gan­ze Fon­ta­ne für 99 Cent, der gan­ze Hegel, der gan­ze Kant kos­ten­los. Ja, in gewis­ser Wei­se betrifft es das gan­ze Schul- und Bil­dungs­sys­tem: Wenn alles einen Klick weit weg ist, was will ich dann eigent­lich noch sel­ber wissen?

Es ist klar: Es rückt ins Zen­trum die Fähig­keit, die Infor­ma­tio­nen zu ver­ste­hen und ein­zu­ord­nen, und die Fra­ge wird rele­vant: Was ist wert gewusst zu wer­den? Was will ich wis­sen? Und jeder von uns arbei­tet hier an der Prio­ri­sie­rung und der Fra­ge: Was blen­de ich lie­ber oder sinn­vol­ler­wei­se aus? Wel­ches Wis­sen genügt mir, wel­che Wis­sens- bzw. Nach­rich­ten­quel­len genü­gen mir? Wie haus­hal­te ich mit mei­ner Auf­nah­me­ka­pa­zi­tät? Was will ich nicht nur zur Kennt­nis neh­men, son­dern mir aneig­nen und im Gedächt­nis behal­ten? Und war­um und wozu eigentlich?

„Wo ist die Weis­heit, die wir im Wis­sen ver­lo­ren? Wo ist das Wis­sen, das wir in der Infor­ma­ti­on ver­lo­ren?“ soll T. S. Eli­ot gefragt haben. Inso­fern ist eine Hal­tung der Genüg­sam­keit, die das Wert­hal­ti­ge, das natür­lich von Per­son zu Per­son unter­schied­lich sein kann, her­aus­fil­tert, schon lan­ge eine Her­aus­for­de­rung für jeden von uns. Wenn ich in Kunst­aus­stel­lun­gen gehe: Wie lan­ge ver­wei­le ich bei einem Bild? Wie sehr beglei­tet mich das Bild? Wie oft sehe ich es an?

Also: Selbst auf Gebie­ten (Musik, Kunst), in denen die Ent­wick­lung gar nicht mehr so dra­ma­tisch wei­ter­geht, muss ich wäh­len und mich beschei­den kön­nen. Es ist aber damit auch ein gutes Übungs­feld für die Genüg­sam­keit, denn wir wer­den hier nicht mehr stän­dig mit bedeut­sa­men Neue­run­gen kon­fron­tiert und ver­führt. Hier kön­nen wir spü­ren, wie viel wir wol­len, was uns gut tut – und kön­nen ler­nen, klug zu wählen.

[1] Inno­va­tio­nen im Raum der Kunst gibt es ins­be­son­de­re noch durch tech­ni­sche Inno­va­tio­nen, Video­in­stal­la­ti­on in der Kunst, neue Bau­ma­te­ria­li­en in der Archi­tek­tur usw.

Im Blick auf die Fra­ge des Wachs­tums ist der schla­fen­de Rie­se im Raum natür­lich die Öko­no­mie, die Wirt­schaft, von der wir vor allem hören, ob sie wächst oder sta­gniert oder womög­lich sich in einer Rezes­si­on befindet.

Muss die Wirt­schaft wach­sen oder muss sie das nicht?

Der frü­he­re Bun­des­kanz­ler und »Mit­er­fin­der« der sozia­len Markt­wirt­schaft, Lud­wig Erhardt, hat in sei­nem Buch Wohl­stand für alle im Jahr 1957 fol­gen­de Gedan­ken geäußert:

»Wir wer­den sogar mit Sicher­heit dahin gelan­gen, dass zu Recht die Fra­ge gestellt wird, ob es noch immer nütz­lich und rich­tig ist, mehr Güter, mehr mate­ri­el­len Wohl­stand zu erzeu­gen, oder ob es nicht sinn­vol­ler ist, unter Ver­zicht­leis­tung auf die­sen »Fort­schritt« mehr Frei­zeit, mehr Besin­nung, mehr Muße und mehr Erho­lung zu gewin­nen.« Und wei­ter: »… dann wer­den wir in fer­ne­ren Tagen auch zu einer Kor­rek­tur der Wirt­schafts­po­li­tik kom­men müs­sen. Nie­mand dürf­te dann so dog­ma­tisch sein, allein in der fort­dau­ern­den Expan­si­on noch län­ger das Heil erbli­cken zu wol­len.«[1]

Der Sozio­lo­ge Ger­hard Schul­ze, der durch das Buch „Die Erleb­nis­ge­sell­schaft“ bekannt gewor­den ist, hat vom Rät­sel der Ankunft gespro­chen: Wo wol­len wir mal ankom­men und in gewis­ser Wei­se auch zur Ruhe kom­men? Es sei „offen­sicht­lich, dass immer mehr Men­schen, ange­kom­men in Lebens­um­stän­den jen­seits des Unglücks, den Dis­kurs über das Glück suchen.“[2] Er gesteht zu, dass die Stei­ge­rung immer noch wei­ter geht. Aber: „Je mehr sich die Gren­zen nach außen ver­schie­ben, des­to inter­es­san­ter wird die Fra­ge, was sich inner­halb die­ser Gren­zen eigent­lich befin­det. Das Ver­traut­wer­den mit dem Ter­rain, auf dem wir uns bewe­gen, wird zur Exis­tenz­fra­ge.“[3]

Noch geht die Stei­ge­rung, womit Erhardt wohl nicht gerech­net hat, weiter.

Robo­tik und KI wer­den wohl zu den gra­vie­rends­ten Neue­run­gen füh­ren, die uns erwarten.

KI wird zu unse­rem Lebens­be­glei­ter und der Typus von Men­schen, die sag­ten, ich brau­che gar kei­nen Com­pu­ter, kei­nen Lap­top, kein Smart­phone, wer­den genau­so – wie sie sich zur begeis­ter­ten Whats­App-Benut­ze­rin ent­wi­ckelt haben – ver­mut­lich in nicht zu fer­ner Zukunft eine Smart­watch tra­gen als Infor­ma­ti­ons­quel­le, Gesprächs­part­ner, Fit­ness- oder Gesund­heits­be­ra­ter oder was immer.

Und den­noch und gleich­zei­tig im Modus des Ange­kom­men­seins, des Genug und der Zufrie­den­heit zu leben – dar­um geht es.

Maß­hal­ten zwi­schen zu viel und zu wenig, das Mitt­le­re anstre­ben, wie es die Grie­chen zum Ide­al erho­ben[4], ist eine ein­fa­che Übung im Ver­gleich dazu, aus allem Neu­en das mir Ange­mes­se­ne zu wäh­len in ange­mes­se­ner Wei­se zu nut­zen, und gleich­zei­tig aus den ange­häuf­ten Alt­be­stän­den an Schät­zen und Optio­nen das zu bewah­ren und aktiv zu nut­zen, was mir gemäß sein kann, z.B. das Wan­dern, die Vogel­be­ob­ach­tung, der Genuss eines Musik­stü­ckes usw.

[1] Zitiert bei Schnei­de­wind, Uwe; Zahrnt, Ange­li­ka; Zahrnt, Valen­tin: Damit gutes Leben ein­fa­cher wird. Per­spek­ti­ven einer Suf­fi­zi­enz­po­li­tik, Mün­chen 2. Aufl. 2013, S. 53.
[2] Schul­ze, Ger­hard: Die bes­te aller Wel­ten, 2003, S. 21.
[3] A. O. S. 38–39. Vgl. Ivan Illich: Selbst­be­gren­zung S. 179: „Plötz­lich wird der Mehr­heit vor Augen geführt wer­den: die Orga­ni­sa­ti­on der gan­zen Wirt­schaft im Hin­blick auf das bes­se­re Leben ist das Haupt­hin­der­nis für das gute Leben.“
[4] „Nichts im Über­maß“, mhden agan, hieß es am Ein­gang des Tem­pels von Del­phi (neben „Erken­ne dich selbst“).

Es wird immer deut­li­cher, „dass ein gutes Leben auch Räu­me für ein »Lang­sa­mer«, »Näher«, »Weni­ger« und »Per­sön­li­cher« benö­tigt.“[1]

Dies auch des­halb, weil Robo­tik und Digi­ta­li­sie­rung frü­her oder spä­ter dazu füh­ren wer­den, dass sich im Schnitt die Arbeits­zeit wei­ter ver­kürzt. Es gibt ganz unter­schied­li­che Ein­schät­zun­gen zur Fra­ge, ob es künf­tig noch genug Arbeit für eine vol­le Arbeits­wo­che geben wird oder nicht. Mög­li­cher­wei­se wird die Redu­zie­rung der Arbeits­zeit (mög­li­cher­wei­se bei nicht weni­gen auf 0 Stun­den Berufs­ar­beit mit bedin­gungs­lo­sem Grund­ein­kom­men) die Fra­ge ver­stär­ken, wie wir sinn­voll die Zeit verbringen.

Übri­gens ist das Brut­to­in­lands­pro­dukt pro Kopf in den meis­ten Indus­trie­na­tio­nen (mit Aus­nah­me der USA) in den letz­ten 10 Jah­ren prak­tisch nicht gewach­sen. Dage­gen steigt das BIP pro Kopf in Chi­na und fast allen Ent­wick­lungs- und Schwel­len­län­dern. Sind wir dies­be­züg­lich an einer Gren­ze des Wachs­tums ange­kom­men? Auch wenn Geld so bil­lig wie noch nie, fließt es nicht in Inno­va­tio­nen, die einen neu­en Schub an Beschäf­ti­gung und Erträ­gen brin­gen wür­den. Folgt man der Kern­fra­ge, was zur Zeit knapp ist, und wo die nächs­te Basis­in­no­va­ti­on zu erwar­ten ist, so ist die nahe­lie­gen­de Ant­wort: erneu­er­ba­re Ener­gie. Aller­dings erschließt die­se Inno­va­ti­on nicht wie die 5 vor­an­ge­hen­den ganz neue Märk­te, son­dern ersetzt die bis­he­ri­ge koh­len­stoff­ba­sier­te Ener­gie­ver­sor­gung. Man kann sich von die­ser Inno­va­ti­on durch­aus Ver­bes­se­run­gen der Ener­gie­ver­sor­gung und damit Lebens­qua­li­tät ins­be­son­de­re in Afri­ka erwar­ten, sie führt aber kaum zu einer Erwei­te­rung der Arbeits­plät­ze in den Industriestaaten.

Inter­es­sant ist, dass als 6. Kond­ra­tieff (oft mit Fra­ge­zei­chen) neben Umweltmarkt/Erneuerbaren Ener­gien und Bio- und Nano­tech­no­lo­gie (Alli­anz[2]) eher sehr wei­che Bedürf­nis­se genannt wer­den: Gesund­heit (Alli­anz) – Psy­cho­so­zia­le Gesund­heit – Holis­ti­sche Gesund­heit (Nefio­dow)[3] – Lebens­qua­li­tät – „Gedan­ken­ar­beit“ (Erik Hän­de­ler[4]).

[1] Schnei­de­wind, Uwe – Zahrnt, Ange­li­ka, a. O., S. 13.
[2] http://www.ka1.at/documents/20100119145745e.pdf (Zuletzt auf­ge­ru­fen am 27.7.2022)
[3] Nefio­dow, Leo and Nefio­dow, Simo­ne: The Sixth Kond­ra­tieff, 2014.
[4] Hän­de­ler, Erik: 1929 und wir, Süd­deut­schen Zei­tung vom 21.10.2019 http://sz.de/1.4647905

Es gibt das Kon­zept eines grü­nen Wachs­tums: Ralf Fücks, soge­nann­ter Vor­den­ker der Grü­nen und sicher auf der Sei­te der Rea­los, illus­triert in sei­nem Buch „Intel­li­gent wach­sen“[1] das Poten­ti­al intel­li­gen­ten grü­nen Wachs­tums, das durch Stei­ge­rung der Effi­zi­enz bei weni­ger Res­sour­cen­ver­brauch mehr Lebens­qua­li­tät errei­chen könne.

So ist für Ralf Fücks eine Rah­men­be­din­gung des Wirt­schaf­tens, dass „Prei­se die öko­lo­gi­sche Wahr­heit sagen müs­sen“. Durch ent­spre­chen­de Steu­ern und Abga­ben und den Abbau von umwelt­po­li­tisch kon­tra­pro­duk­ti­ve Sub­ven­tio­nen könn­ten die Abga­ben auf den Fak­tor Arbeit redu­ziert wer­den. Fücks denkt sogar an eine „inter­na­tio­na­le Kli­ma­bank“, die als Hüte­rin der Kli­ma­sta­bi­li­tät „das allei­ni­ge Recht“ hät­te, „CO2-Emis­si­ons­rech­te aus­zu­ge­ben und bei Bedarf zu ver­knap­pen, um einer Über­hit­zung der Erde vorzubeugen“.

Die Vor­schlä­ge bzw. For­de­run­gen von Fücks gehen nach mei­ner Ein­schät­zung fast aus­nahms­los in die rich­ti­ge Rich­tung und sind trotz der Über­schrift radi­kal. Ob in der Sum­me ein Wachs­tum bleibt, steht in den Ster­nen, und es ist frucht­los dar­über heu­te zu dis­ku­tie­ren, wo wir kaum die ers­ten Schrit­te unternehmen.

Noch pro­vo­zie­ren­der ist der Titel „Intel­li­gen­te Ver­schwen­dung“ des Buches von Micha­el Braun­gart, einem Che­mi­ker, und dem Archi­tek­ten Wil­liam McDo­nough[2]. Und doch ist ihr Kon­zept fast noch radi­ka­ler. Es soll über­haupt nichts mehr her­ge­stellt wer­den, was nicht zu recy­clen ist, und zwar nicht wie jetzt mit einem Down­cy­cling, so dass aus Plas­tik allen­falls noch Park­bän­ke her­zu­stel­len sind. Die Autoren zei­gen viel­mehr die Chan­cen eines „Upcy­cling“ auf: Roh­stof­fe behal­ten ihren Wert oder gewin­nen sogar noch dazu. Nach Braun­gart und McDo­nough ist ein Pro­dukt, das Abfall wird, ein schlech­tes Pro­dukt. Von den Hun­der­ten von Kunst­stoff­ar­ten gäbe es nach die­sem Prin­zip viel­leicht noch 2 oder 3, die nach­ge­wie­se­ner­ma­ßen unschäd­lich sind und durch ein Pfand­sys­tem nahe­zu voll­stän­dig dem Recy­cling zuge­führt wer­den könn­ten. Crad­le to crad­le, von der Wie­ge zur Wie­ge. Braun­gart und McDo­nough äußern sogar die Hoff­nung, dass wir Men­schen auf die­ser Erde „nütz­lich sein“ könn­ten wie die Amei­sen – statt „weni­ger schäd­lich“[3].

Auch hier ist es so, dass wir kaum eine Ahnung haben, wie eine Lebens- und Kon­sum­welt nach Braun­gart aus­se­hen wür­de, aber es erscheint alle Anstren­gun­gen wert, in die­se Rich­tung zu gehen: Gift gehört nicht in Möbel, nicht in Klei­dung, nicht in Bücher und nicht in Geträn­ke­be­häl­ter. Übri­gens ist die­ses Buch von Braun­gart und McDo­nough das ein­zi­ge Buch, das man mit gutem Gewis­sen kom­pos­tie­ren kann: so kon­se­quent ungif­tig ist es her­ge­stellt, und noch nie vor­her hat man die­se Kon­se­quenz bei der Her­stel­lung eines Buches auf­ge­bracht. Intel­li­gen­te Ver­schwen­dung emp­fin­de ich ansatz­wei­se, wenn ich mich mit durch Solar­ther­mie erhitz­tem Was­ser dusche.

Genüg­sam­keit heißt, dank­bar anneh­men, wenn es geschenkt wird, dar­auf ver­zich­ten, wenn es nicht umwelt­freund­lich funktioniert.

Gegen­über die­sen nur schein­bar opti­mis­ti­schen Sze­na­ri­en beto­nen Uwe Schnei­de­wind und Ange­li­ka Zahrnt die Not­wen­dig­keit, sich auf das, was genug und aus­rei­chend ist, zu besin­nen. „Damit gutes Leben ein­fa­cher wird.“ Eine Suf­fi­zi­enz­po­li­tik muss den Weg dazu ebnen. Suf­fi­zi­enz­po­li­tik hat den ent­schei­den­den Vor­teil, dass sehr schnell eine CO₂-Ver­min­de­rung und Ener­gie­ein­spa­run­gen erzielt wer­den kön­nen, etwa durch ein Tempolimit.

Wenn Niko Paech schreibt: „Wer heu­te noch Wachs­tum pro­pa­giert, muss an nicht weni­ger als Ent­kopp­lungs­wun­der glau­ben, näm­lich hin­sicht­lich knap­per Res­sour­cen und öko­lo­gi­scher Schä­den“, so steht Fücks sozu­sa­gen für die Ent­kop­pe­lung hin­sicht­lich der Res­sour­cen und Braun­gart für die Ent­kop­pe­lung hin­sicht­lich der Schä­den. Aber bei bei­den ist klar, dass die Ent­kop­pe­lung nur durch sehr radi­ka­le Maß­nah­men erfol­gen wird. War­um sol­len wir uns jetzt schon dar­um strei­ten, was am Ende in der Bilanz an Wachs­tum oder Schrump­fen steht, wenn klar ist, was wir jetzt an radi­ka­len Maß­nah­men ergrei­fen müs­sen? Und garan­tiert spre­chen sich Fücks und Braun­gart nicht gegen ein Tem­po­li­mit aus (was man ja der Suf­fi­zi­enz­po­li­tik zurech­nen könn­te), weil bei­de sinn­lo­se Ener­gie­ver­schwen­dung, jeden­falls solan­ge sie schäd­lich ist, eben­falls ableh­nen.[4] Sol­len doch Schnei­de­wind und Zahrnt für Suf­fi­zi­enz plä­die­ren, Braun­gart für Gift­frei­heit, Fücks für CO₂-arme Tech­nik, aber sie und ihre Anhän­ger soll­ten sich nicht gegen­sei­tig diskreditieren.

Alle drei (Teil-)Strategien müs­sen wis­sen­schaft­lich, poli­tisch und gesell­schaft­lich krea­tiv und beharr­lich ver­folgt wer­den – damit auch unse­re Kin­der und Enkel­kin­der die Erde als lebens­freund­li­chen Ort erfah­ren können.

[1] Ralf Fücks, Intel­li­gent wach­sen, Die grü­ne Revo­lu­ti­on, Mün­chen 2013.
[2] Micha­el Braun­gart / Wil­liam McDo­nough, Intel­li­gen­te Ver­schwen­dung. The Upcy­cle: Auf dem Weg in eine neue Über­fluss­ge­sell­schaft 2013.
[3] „War­um soll­ten wir Men­schen mit all unse­rer Intel­li­genz und all unse­rer Tech­no­lo­gie düm­mer als Bäu­me sein? War­um soll­ten wir Men­schen uns als die­je­ni­gen sehen, die die ein­zi­gen Sys­te­me auf die­sem Pla­ne­ten schaf­fen, die nicht in der Lage sind, auf freu­di­ge, siche­re Wei­se an der natür­li­chen Welt teil­zu­ha­ben, so wie es Bäu­me, Regen­wäl­der, Regen­wür­mer und Amei­sen tun?“ A. O. S. 36.
[4] Somit ste­hen die­se Autoren für die drei zen­tra­len Aspek­te jeder Nach­hal­tig­keits­stra­te­gie: Effi­zi­enz (Fücks), Kon­sis­tenz (ins­be­son­de­re des Roh­stoff­kreis­lau­fes, Braun­gart) und Suf­fi­zi­enz (Schnei­de­wind und Zahrnt).

Mei­nen wir mit Ethik der Genüg­sam­keit, dass Genüg­sam­keit um ihrer selbst wil­len anzu­stre­ben sei?

Aber es dürf­te deut­lich gewor­den sein, dass wir Genüg­sam­keit nicht ohne den kul­tu­rel­len Kon­text den­ken kön­nen. Es gibt kei­ne zeit­lo­se Ethik der Genüg­sam­keit. Sie müss­te zen­tral in einer Ethik des guten Lebens ver­or­tet wer­den, wie wir das dem Grun­de nach bei Aris­to­te­les fin­den. Zu einem guten und rich­ti­gen Leben gehört, dass ich Maß zu hal­ten ver­ste­he. Maß hal­ten bedeu­tet heu­te aber nicht nur, Exzes­se zu ver­mei­den wie z. B. täg­lich  sechs Stun­den am Tag fern­se­hen, sofort jeden elek­tro­ni­schen Schnick­schnack kau­fen und drei Mal im Jahr in den Urlaub flie­gen. Unser sehr nor­ma­les Leben muss heu­te als Exzess bezeich­net wer­den, als nicht nach­hal­tig, als rück­sichts­los gegen­über der Bio­sphä­re, ja, als – nicht inten­diert, aber de fac­to – men­schen­ver­ach­tend. Von daher hat eine Ethik des guten Lebens nichts mehr von der Gemüt­lich­keit der aris­to­te­li­schen. Wer Ohren hat, den Ruf der Ertrin­ken­den zu hören, der höre! Wer den Ver­stand hat, auf die Wissenschaftler*innen zu hören, der zie­he sei­ne Schluss­fol­ge­run­gen! Wer Ehr­furcht vor der Schöp­fung, vor der Tier- und Pflan­zen­welt hat, der übe sich in Genügsamkeit!

Denn wir über­schrei­ten erst­mals in der Geschich­te der Mensch­heit nicht per­sön­li­che Gren­zen, son­dern die planetaren.