Sollte der Mensch Hemmungen haben, ein Tier zu töten, so kann er diese jedenfalls leicht überwinden. Mitunter stellen Tiere eine Gefahr für den Menschen dar und werden deshalb getötet, häufiger noch geschieht dies, um sie als Nahrungsmittel zu nutzen.
Aber nicht „nur“ das: Wir müssen uns damit konfrontieren, dass sich die Menschen nicht allein von Tieren ernährten, sondern schon extrem früh Tierarten ausrotteten.
Schon der selbstständige Mitentdecker der Evolutionstheorie Alfred R. Wallace konnte sich nicht genug über eine seltsame Tatsache wundern:
Es ist klar …, dass wir uns nun in einer gänzlich außergewöhnlichen Periode der Erdgeschichte befinden. Wir leben in einer zoologisch verarmten Welt, aus der die größten, wildesten und seltsamsten Lebensformen erst kürzlich verschwunden sind, und es ist für uns nun ohne Zweifel eine viel bessere Welt – nun, da sie verschwunden sind. Doch es ist gewiss eine außerordentliche Tatsache, die noch gar nicht ausreichend beachtet wurde: dieses plötzliche Aussterben so vieler großer Säugetiere, nicht nur an einem Ort, sondern über die Hälfte des Festlandes der Erde.[1]
Heute wird geschätzt, dass Nordamerika mehr als 70% seiner großen Tierarten (über 40 Kilo) verloren hat, Südamerika ca. 80% und Australien ca. 85%.
Wallace rätselte über die Ursachen und erörterte vor allem die Eiszeit als möglichen Faktor. Doch kann die Eiszeit als Erklärung nicht befriedigen.
Kann es sein, dass Homo sapiens verantwortlich war, dass seine Ausbreitung nach Australien und die beiden Amerikas der entscheidende Faktor war? Es fällt nicht leicht, sich das vorzustellen, aber es deuten viele Indizien darauf hin. Für Tasmanien hat eine Studie von 2008 die Altersdatierungen der Fossilien von 7 großen Landlebewesen vorgenommen. Es finden sich schon sehr wenige Jahrtausende nach Erscheinen des Menschen in Tasmanien (43.000 Jahre vor heute) keine Fossilien dieser Arten mehr, obwohl sie zuvor Millionen von Jahren diverse Klimaschwankungen überstanden haben. In Australien scheint Jagd und Feuer der Megafauna den Garaus gemacht zu haben, in Tasmanien alleine die Jagd.
In Australien traf es nach dem Erscheinen des Menschen u.a. ein Wombat von der Größe eines Nashorns (3 t schwer) und das Procoptodon, ein 3 m großes Känguru. In Tasmanien wurden sechs Arten großer Beuteltiere, darunter drei Kängurus, ein Beutel-Nilpferd und ein Beutel-Leopard ausgerottet sowie ein Ameisenigel, ein urtümliches eierlegendes Säugetier[3].
Dies hatte nebenbei – wie Jared Diamond ausführt – die Folge, dass „sämtliche großen Wildtiere, die später vielleicht hätten domestiziert werden können“ verschwanden[4].
Für Europa konstatieren Johannes Krause und Thomas Trappe, dass die Mammuts Hunderttausende von Jahren mit den Neandertalern koexistieren konnten.[5] Aber:
Kurz nach der Ankunft unserer Vorfahren und dem Verschwinden der Neandertaler waren auch die europäischen Mammuts ausgestorben – an die frei werdende Stelle traten einwandernde asiatische Mammuts, die dann aber ebenfalls nicht mehr das Ende der Eiszeit erlebten.
In Nordamerika verschwanden Elefanten und Mammute, Pferde, Löwen und Geparden, Kamele und Riesenfaultiere. In vielen Mammutskeletten fand man Speerspitzen der Cloviskultur, ein Hinweis für den Grund des Aussterbens. Auch in Nord- und Südamerika verschwanden also „die meisten Großtierarten, die später von den indianischen Bewohnern Amerikas hätten domestiziert werden können.“[6]
Warum konnten im Gegensatz zu den Kontinenten Amerika und Australien und vielen Inseln die meisten Großtierarten Afrikas und Eurasiens überleben?
Die Antwort ist für Tierfreunde ernüchternd:
Diese Tierarten entwickelten sich in ihrer Evolution über „Hunderttausende oder gar Millionen von Jahren parallel zur Evolution des Menschen … . Dadurch hatten sie genügend Zeit, den Menschen fürchten zu lernen, während sich die anfangs sehr bescheidenen Jagdkünste unserer Vorfahren ganz allmählich verbesserten. Die Dodos, Moas und vielleicht auch die Großtierarten von Australien/Neuguinea hatten das Pech, aus heiterem Himmel und ohne behutsame Vorbereitung durch die Evolution mit menschlichen Eindringlingen konfrontiert zu werden, die bereits über ausgereifte Jagdfertigkeiten verfügten.“[7]
Diese Einschätzung Diamonds wird durch neuere Forschungen auf frappierende Weise bestätigt: Die allermeisten Arten im Afrika südlich der Sahara fürchten den Menschen mehr als Löwen. Hören diese Tiere, z. B. Giraffen, menschliche Stimmen (vom Lautsprecher) beunruhigt sie das mehr als Löwengebrüll:
Fully 95% of species ran more from humans than lions (significantly in giraffes, leopards, hyenas, zebras, kudu, warthog, and impala) or abandoned waterholes faster (significantly in rhinoceroses and elephants).[8]
Der Mensch ist ein super predator, das gefährlichste Raubtier, das die Tiere Afrikas so gut und so lange schon kennen, dass sie es fürchten. Und diese Furcht war evolutionär so bedeutsam, dass sie sich genetisch verankert hat.
[1] Alfred Russel Wallace, The Geographical Distribution of Animals; with a study of the relations of living and extinct faunas as elucidating the past changes of the Earth’s surface., New York 1876, S. 150. Eigene Übersetzung.
[2] Jared Diamond, Arm und Reich, 3. Aufl. 1998, S. 56. Die Originalausgabe erschien 1997 unter dem Titel Guns, Germs, and Steel, New York.
[3] Chris S. Turney et al., Late-surviving megafauna in Tasmania, Australia, implicate human involvement in their extinction, in: Proceedings of the National Academy of Sciences 105/34, 2008, S. 12150–12153.
[4] Diamond, a. O. S. 57.
[5] Krause, Johannes; Trappe, Thomas. Hybris: Die Reise der Menschheit zwischen Aufbruch und Scheitern (S.128–129). Ullstein eBooks. Kindle-Version.
[6] Diamond, a. O. S. 61.
[7] A. O. S. 56.
[8] Zanette, Liana Y. et al., Fear of the human „super predator“ pervades the South African savanna“, Current biology (2023) https://doi.org/10.1016/j.cub.2023.08.089.