Das große Staunen – Wissenschaft und Spiritualität

Staunen zwischen Affekt und Kognition

Stau­nen kann sich auf einem Kon­ti­nu­um bewe­gen zwi­schen den Polen Affekt und Kogni­ti­on. Blei­ben wir am affek­ti­ven Pol, dann gibt es hier ein Spek­trum von Stau­nen, Ergrif­fen­heit, Schau­der, Gän­se­haut­ge­fühl, Andacht, Rüh­rung, Ehr­furcht. Es gibt Film­auf­nah­men von Schim­pan­sen, die im Dschun­gel an einen 20m hohen Was­ser­fall gelan­gen. Ihr Fell sträubt sich, sie wer­fen auf­ge­regt Stei­ne in das Was­ser, stap­fen mit den Füßen im Was­ser. Dann beru­hi­gen sie sich und sit­zen ruhig da und schau­en; sie wir­ken in sich gekehrt, sin­nie­rend. Die berühm­te Schim­pan­sen­for­sche­rin Jane Goo­dall meint dazu: „Ich kann nicht anders als zu glau­ben, dass sol­ches Ver­hal­ten durch ein Gefühl des Stau­nens aus­ge­löst wird.“

Auf der ande­ren Sei­te, dem Pol der Kogni­ti­on, haben wir die Fest­stel­lung von Pla­ton: „Das Stau­nen ist der Anfang der Phi­lo­so­phie“ und Aris­to­te­les bekräf­tigt: „Denn aus dem Stau­nen haben die Men­schen ursprüng­lich ange­fan­gen zu phi­lo­so­phie­ren.“ Das Ziel des Phi­lo­so­phen und ange­hen­den Wis­sen­schaft­lers Aris­to­te­les ist, aus dem Stau­nen in Wis­sen und Ver­ste­hen überzugehen.

Dabei betont Han­na Are­ndt, dass

Pla­to und Aris­to­te­les „auch dar­in über­ein­stimm­ten, daß das Ende und Ziel alles Phi­lo­so­phie­rens wie­der­um in einem Zustand der Sprach­lo­sig­keit, einer Anschau­ung, die sich in Wor­ten nicht mit­tei­len läßt, bestehen soll. In die­ser Phi­lo­so­phie ist θεωρία eigent­lich nur ein ande­res … Wort für θαυμαζειν die Anschau­ung des Wah­ren, zu der das Phi­lo­so­phie­ren gelangt, ist das begriff­lich und phi­lo­so­phisch geklär­te Stau­nen, mit dem es begann.“[1]

Und genau das lässt sich heu­te viel mehr für das Stau­nen zei­gen, durch das natur­wis­sen­schaft­li­ches For­schen ange­regt wird, dass es näm­lich auch wie­der im Stau­nen endet. Und ziem­lich sicher ist es heu­te so, dass die Natur­wis­sen­schaf­ten mehr zum Stau­nen brin­gen als die heu­ti­ge Philosophie.

[1] Han­nah Are­ndt, Vita acti­va oder Vom täti­gen Leben, 3. Aufl., Mün­chen 1983, 295.

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Erschauern über die wissenschaftliche Erkenntnis: Darwins Evolutionstheorie

Stau­nen, auch ehr­fürch­ti­ges Stau­nen setzt eine gewis­se Distanz zum Natur­er­le­ben vor­aus. Das ist wohl in einer ani­mis­ti­schen Sicht auf die Natur, noch nicht gege­ben. In die­ser wer­den in vie­len Phä­no­me­nen leben­di­ge Wesen erkannt. Ein Baum, ein Was­ser­lauf kann als Per­son wahr­ge­nom­men wer­den. Die ani­mis­ti­sche Auf­la­dung der Natur füh­ren Reli­gi­ons­psy­cho­lo­gen unter ande­rem dar­auf zurück, dass es vor­teil­haft ist, bei einem Kna­cken im Wald spon­tan eher ein Lebe­we­sen als Ursa­che anzu­neh­men als einen mor­schen Ast. Wir pro­ji­zie­ren ten­den­zi­ell bewuss­tes Wol­len in Vor­gän­ge, die es nicht enthalten.

Neben­be­mer­kung: Des­halb wer­den Men­schen auch kein Pro­blem haben, in der KI ein Gegen­über zu sehen und vie­le sind ja schon in fes­ten Aus­tausch­be­zie­hun­gen, aber wir wer­den ein Pro­blem damit bekom­men, dass wir kein Pro­blem damit haben, dass wir KI so sehr in unser sozia­les Mit­ein­an­der auf­neh­men werden.

Unser Erken­nungs­sys­tem für Inten­tio­nen ande­rer Lebe­we­sen – gera­de auch bedroh­li­che -, ist ziem­lich emp­find­lich ein­ge­stellt, was wohl eine Ursa­che für die mensch­li­che Nei­gung zu Ver­schwö­rungs­er­zäh­lun­gen ist, wenn die Ursa­che eigent­lich ein natür­li­cher Vor­gang oder schlicht Zufall ist.

Inso­fern tra­gen natur­wis­sen­schaft­li­che Betrach­tun­gen seit ihren Anfän­gen eher zu einem Abbau der Angst und auch der Ehr­furcht und des Stau­nens bei. Und teil­wei­se wol­len sie auch genau das.

Epi­kur und 200 Jah­re nach ihm sein Schü­ler Lukrez (1. Jh. V. Chr.) haben sich in die­ser Hin­sicht beson­ders ver­dient gemacht. Das Lehr­ge­dicht mit dem küh­nen Titel „De Rer­um Natu­ra“ – „Über die Natur der Din­ge“ von Lukrez ist heu­te noch wun­der­bar zu lesen. Die Göt­ter wol­len uns weder Gutes noch Böses. Vie­les lässt sich als natür­li­cher Vor­gang ver­ste­hen. Da sind kei­ne Geis­ter zu fürchten.

Was ist die stärks­te und mäch­tigs­te natür­li­che Erklä­rung, die Men­schen für irgend­et­was gefun­den haben? Was mei­nen Sie? Die Erklä­rung für Blitz und Donner?

Ich den­ke an die Erklä­rung der Ent­ste­hung der Arten durch Charles Dar­win. Es geht immer­hin um 5–100 Mil­lio­nen Arten von Lebe­we­sen (so groß ist die Span­ne der Schät­zun­gen). Und so ist es viel­leicht kein Zufall, dass sich unter Bio­lo­gen weni­ger reli­gi­ös musi­ka­li­sche Men­schen fin­den. Sie sind sozu­sa­gen begeis­tert vom Ver­ste­hen des­sen, was bis dahin nur als Aus­druck der über­rei­chen Schöp­fer­kraft Got­tes ver­stan­den wer­den konn­te. Wie sehr konn­ten Men­schen nicht stau­nen über die Natur in ihrem For­men­reich­tum und die Fines­se ihrer Erschei­nun­gen. Ich erin­ne­re nur z.B. an den Natur­ly­ri­ker Bar­thold Hein­rich Bro­ckes in der ers­ten Hälf­te des 18. Jahr­hun­derts und sei­ne Dich­tun­gen zu „Irdi­sches Ver­gnü­gen in Gott“. Natür­lich kön­nen wir nach wie vor stau­nen über die Phä­no­me­ne des Lebendigen.

Doch die Evo­lu­ti­ons­theo­rie Dar­wins hat­te und hat eine hohe Erklä­rungs­kraft für den For­men­reich­tum mit Hil­fe weni­ger Fak­to­ren: Leben, Ver­dop­peln bzw. Ver­meh­ren, inklu­si­ve Feh­lern, also Varia­bi­li­tät und dann eine Umwelt, beleb­te und unbe­leb­te, die Leben und Ver­meh­rung begüns­tigt oder erschwert und noch viel Zeit – und das wars. Eine der ganz gro­ßen genia­len Ver­ein­heit­li­chun­gen, die den Natur­wis­sen­schaf­ten gelang. Heu­re­ka, ich hab‘s gefun­den, hät­te Dar­win viel­leicht rufen kön­nen, aber er schreibt – übri­gens 15 Jah­re vor der Ver­öf­fent­li­chung der „Ent­ste­hung der Arten“ -: „es ist wie einen Mord zu gestehen“.

In einem Brief am 11. Janu­ar 1844 gab Dar­win Joseph Dal­ton Hoo­ker ers­te Hin­wei­se auf sei­ne Evo­lu­ti­ons­theo­rie und schrieb ihm, dass er „ent­ge­gen sei­ner ursprüng­li­chen Auf­fas­sung nun bei­na­he über­zeugt [sei], dass die Arten (es ist wie einen Mord zu geste­hen) nicht unver­än­der­lich“ seien.

At last gleams of light have come, & I am almost con­vin­ced (quite con­tra­ry to opi­ni­on I star­ted with) that spe­ci­es are not (it is like con­fes­sing a mur­der) immu­ta­ble. (Dar­win an Joseph Dal­ton Hoo­ker am 11. Janu­ar 1844)

Eine Krän­kung der Mensch­heit wird es Freud nen­nen, eine gna­den­lo­se Des­il­lu­sio­nie­rung, ein Anschlag auf das Staunen.

Neben Spott, Ableh­nung, Ver­leug­nung gab es vie­le, die sich über­zeu­gen lie­ßen von Dar­wins akri­bisch gesam­mel­ten und in Jahr­zehn­ten erar­bei­te­ten Indi­zi­en und Argu­men­ten. So etwa der spä­te­re Erz­bi­schof von Can­ter­bu­ry Fre­de­rick Temp­le:

„Es scheint in sich selbst etwas Majes­tä­ti­sche­res zu sein, etwas, das Ihm, für den tau­send Jah­re wie ein Tag und ein Tag wie tau­send Jah­re sind, eher ange­mes­sen ist, so Sei­nen Wil­len ein für alle Mal auf Sei­ne Schöp­fung zu prä­gen und für all ihre unzäh­li­gen Varia­tio­nen durch die­sen einen ursprüng­li­chen Ein­druck zu sor­gen, als durch spe­zi­el­le Akte der Schöp­fung stän­dig zu ver­än­dern, was Er zuvor gemacht hat­te.“ Gott „hat die Din­ge nicht gemacht, könn­ten wir sagen; nein, aber Er mach­te, dass sie sich selbst mach­ten.“[1]

Temp­le woll­te mit die­ser Argu­men­ta­ti­on sicher auch die christ­li­che Sicht ver­tei­di­gen, hat­te also wahr­schein­lich apo­lo­ge­ti­sche Inten­tio­nen, das ändert aber nichts dar­an, dass er recht hat dar­in, dass das, was die Bio­lo­gen nun erklä­ren, das Mys­te­ri­um der Lebens­ent­ste­hung grö­ßer macht; und wenn und soweit die Lebens­ent­ste­hung Erklä­run­gen fin­det, wan­dert das Rät­sel an die Che­mie und dann wei­ter an die Phy­sik und die Kos­mo­lo­gie. Für die Lebens­ent­ste­hung gibt es bis­her diver­se eher vage Hypo­the­sen und Theo­rien, wobei sich die Natur­wis­sen­schaft­ler dar­in einig sind, dass es schon mit natür­li­chen Din­gen zuge­gan­gen sein wird. Und weil es ja bereits nach ein paar hun­dert Mil­lio­nen Jah­ren seit der Ent­ste­hung der Erde dazu gekom­men ist, war es viel­leicht nicht so unwahr­schein­lich wie die Ent­ste­hung von Refle­xi­on, Intel­li­genz und Kul­tur, wozu es über 4 Mil­li­ar­den Jah­re Zeit brauchte.

Aber noch ein­mal: es ist schon rich­tig, dass sich das Wun­der an den Anfang verlagert.

Wo und wie soll in dem hei­ßen Gas­ge­misch kurz nach dem Urknall drin­ste­cken, was es an bun­ter und raf­fi­nier­ter Lebens­viel­falt ein­mal geben wird?

Tat­säch­lich sind es die Phy­si­ker, die reli­gi­ös divers sind, wäh­rend sich etwa 78% von 149 befrag­ten renom­mier­ten Evo­lu­ti­ons­bio­lo­gen zu einem kon­se­quen­ten Natu­ra­lis­mus beken­nen. Es ist ihnen zu gön­nen, dass sie stau­nen und fas­zi­niert sind, wie­viel sich mit Muta­ti­on und Selek­ti­on und noch ein paar ande­ren Zuta­ten, inzwi­schen auch Epi­ge­ne­tik, erklä­ren lässt oder sagen wir bes­ser: ver­ste­hend nach­voll­zie­hen lässt.

Natür­lich blei­ben Lebens­phä­no­me­ne auch für Bio­lo­gen stau­nen­er­re­gend und sie haben ihre eige­nen neu­en Geset­ze, die sich nicht voll­stän­dig auf che­mi­schen und phy­si­ka­li­schen Geset­zen zurück­füh­ren las­sen. Jeder, der eine Natur- oder Tier­sen­dung anschaut, wird nach wie vor staunen.

Ein etwas spe­zi­el­les Bei­spiel: Ich fin­de erstau­nens­wert und auch erschre­ckend, dass es offen­bar für vie­le Tie­re ein Selek­ti­ons­vor­teil war, ins­be­son­de­re vor der Men­schen­ge­stalt Angst zu haben. Über zig­tau­sen­de von Jah­ren haben die Arten, die in der Nach­bar­schaft von Men­schen ihre Evo­lu­ti­on durch­lau­fen haben, den Instinkt der Men­schen­furcht erwor­ben. Auf den Gala­pa­gos­in­seln und vie­len ande­ren Inseln leb­ten kei­ne Men­schen und es ist eine frap­pie­ren­de wun­der­ba­re Erfah­rung sich ein­mal Wild­tie­ren wie den Meer­ech­sen oder den Blau­fuß­töl­peln auf Gala­pa­gos nähern zu kön­nen, ohne dass die­se Angst- oder Flucht­re­fle­xe zei­gen. Auf die­se Tat­sa­che haben ver­schie­de­ne For­scher und Beob­ach­tun­gen auch in letz­ter Zeit hingewiesen.

Tat­säch­lich fin­det sich schon bei Dar­win in sei­nem Rei­se­be­richt mit der Bea­gle eine Pas­sa­ge, in der er genau das auch schon mit Stau­nen bemerkt[2], obwohl er ja genau dafür eine Erklä­rung hat: die Selek­ti­ons­theo­rie:  Die Tie­re haben jeweils eher über­lebt, die ein biss­chen mehr Angst vor den gefähr­li­chen Zwei­füß­lern hatten.

[1] Fre­de­rick Temp­le, The rela­ti­ons bet­ween reli­gi­on and sci­ence. Eight lec­tures pre­a­ched befo­re the Uni­ver­si­ty of Oxford in the year 1884 (Bamp­ton Lec­tures 1884), Lon­don 1884, 115.a

[2] Charles Dar­win, Die Fahrt der Bea­gle. Tage­buch mit Erfor­schun­gen der Natur­geschichte und Geo­lo­gie der Län­der, die auf der Fahrt von HMS Bea­gle unter dem Kom­man­do von Kapi­tän Fitz Roy, RN, besucht wur­den (mare­buch 17589), 4. Aufl., Frank­furt am Main 2010, 527.

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Das Mysterium naturwissenschaftlicher Erkenntnis:
Die Welt im Kopf

Nach Aris­to­te­les strebt alles nach sei­nem natür­li­chen Ort. Etwas abs­trak­ter wird die Natur­be­trach­tung, wenn sie die eukli­di­sche Geo­me­trie auf die Welt anwen­det. Arist­arch von Samos (310–230 BCE) berech­ne­te im 3 Jahr­hun­dert schon, wie­viel wei­ter die Son­ne von der Erde ent­fernt sein muss wie der Mond.

Hier han­delt es sich also um einen Ver­such, die Ver­hält­nis­se am Him­mel abzu­bil­den in einem geo­me­tri­schen Kon­zept. Oder soll ich sagen: ich lege mein geo­me­tri­sches Kon­zept auf die Wirk­lich­keit? Nun ja, das Licht brei­tet sich gerad­li­nig aus und nicht zuletzt auf gera­den Lini­en basiert die eukli­di­sche Geo­me­trie. Auf jeden Fall gibt es eine Ent­spre­chung der Welt da drau­ßen und mei­nem Den­ken und Auf­fas­sen, – das ist fas­zi­nie­rend. Es passt etwas zusam­men. Wir begrei­fen Zusam­men­hän­ge. Heu­re­ka soll ja Archi­me­des von Syra­kus (287–212) geru­fen haben, ein jün­ge­rer Zeit­ge­nos­se von Arist­arch, als ihm die Zusam­men­hän­ge des Auf­triebs von Kör­pern in Flüs­sig­kei­ten klar wurden.

Die­ses mensch­li­che Ver­ste­hen von natür­li­chen Gege­ben­hei­ten wird deut­lich mys­te­riö­ser, wenn mehr Mathe­ma­tik ins Spiel kommt.

Die moder­ne Natur­wis­sen­schaft hat natür­lich vie­le Ursprün­ge und Prot­ago­nis­ten. Es geht es mir nur dar­um, wie sie über­haupt vor­ge­hen. Gali­lei ist hier zu nen­nen mit sei­nem Fall­ge­setz. Es ist zwar ein schö­nes Bild: Gali­lei auf dem schie­fen Turm zu Pisa, wie er Stei­ne her­un­ter­fal­len lässt, aber das ging für die dama­li­ge Zeit­mes­sung viel zu schnell. Er ließ Kugeln auf einer schie­fen Ebe­ne rol­len und maß die Zeit mit einer Was­ser­uhr. Er hat­te die Intui­ti­on, dass Aris­to­te­les unrecht hat mit sei­ner Annah­me, dass schwe­re Kör­per schnel­ler fal­len als leich­te, obwohl das doch wohl der Intui­ti­on von uns allen ent­spricht. Ich fand es jeden­falls in der Schul­zeit sehr ein­drück­lich, wie in einem Glas, aus dem unser Phy­sik­leh­rer die Luft gepumpt hat­te, eine Feder schnell nach unten fiel wie eine Metall­ku­gel dane­ben. Im Fal­len fand eine beschleu­nig­te Bewe­gung statt, und zwar so dass die zurück­ge­leg­te Stre­cke im Qua­drat der Zeit wuchs. Das war Gali­leis For­mu­lie­rung. Heu­te fügen wir die Gra­vi­ta­ti­ons­kon­stan­te g hin­zu und haben S = ½ g t², wie gesagt, wenn man von der Brem­sung durch den Luft­wi­der­stand absieht.

Wir kön­nen in einer mathe­ma­ti­schen For­mel abbil­den, was in der Welt geschieht, und zwar durch küh­nes Erra­ten eines (bis auf Wei­te­res) ein­fa­chen mathe­ma­ti­schen Zusam­men­hangs. Aber ist in die­ser Ent­de­cker­freu­de und Begeis­te­rung nicht etwas von dem Stau­nen dar­über, dass wir begrei­fen kön­nen? Wir stau­nen, dass wir ver­ste­hen kön­nen. Kep­ler beschäf­tig­te das intensiv:

Nun könn­te man fra­gen, woher jenes See­len­ver­mö­gen … die Fähig­keit haben soll, in der Außen­welt gege­be­nes zu erken­nen. Denn erken­nen heißt, das sinn­lich Wahr­nehm­ba­re außen mit den Urbil­dern innen zu ver­glei­chen und es damit als über­ein­stim­mend zu beur­tei­len. … so locken […] in der Sinn­lich­keit gege­be­ne mathe­ma­ti­sche Bezie­hun­gen jene intel­li­gi­blen Urbil­der her­vor, die schon von vorn­her­ein inner­lich gege­ben sind, so daß sie jetzt wirk­lich und leib­haf­tig in der See­le auf­leuch­ten, wäh­rend sie vor­her nur nebel­haft in ihr vor­han­den waren. Wie aber sind sie ins Inne­re gelangt? … [sie] ent­stam­men … einer gleich­sam trieb­haf­ten rei­nen Grö­ßen­an­schau­ung und sind die­sen Indi­vi­du­en ein­ge­bo­ren, wie dem Form­prin­zip der Pflan­zen etwa die Zahl der Blü­ten­blät­ter oder die Zahl der Frucht­kam­mern dem Apfel ein­ge­bo­ren ist.[1]

[1] Johan­nes Kepp­ler: Kos­mi­sche Har­mo­nie, zit. Nach: Wer­ner Hei­sen­berg, Quan­ten­theo­rie und Phi­lo­so­phie. Vor­le­sun­gen und Auf­sät­ze (Reclams Uni­ver­sal-Biblio­thek Nr. 9948), Stutt­gart 2015, 107–108.

Wenn man den Men­schen heu­te aus evo­lu­tio­nä­rer Sicht betrach­tet, dann ist schon plau­si­bel, dass er als Pri­ma­ten­er­be ein gutes räum­li­ches Vor­stel­lungs­ver­mö­gen mit­bringt, gut, auch eine Zeit­vor­stel­lung, auch eine Kau­sa­li­täts­vor­stel­lung, denn all dies kann vor­teil­haft sein, und das konn­te dazu füh­ren, dass Kant Erkennt­nis gar nicht anders sich vor­stel­len konn­te als unter der Bedin­gung von Raum, Zeit und Kau­sa­li­tät. Aber war­um sind Men­schen fähig zu ver­dammt kom­pli­zier­ten mathe­ma­ti­schen Ope­ra­tio­nen, die dann auch noch Phä­no­me­ne in der Welt da drau­ßen kor­rekt beschrei­ben und vor­aus­be­rech­nen, o.k. zumin­dest eine gan­ze Rei­he von Men­schen ist dazu in der Lage.

Manch­mal wird Gali­lei zwar als ers­ter Empi­ri­ker und Expe­ri­men­ta­tor betrach­tet, wie wir gese­hen haben mit einem gewis­sen Recht; er hat auch mit dem Fern­rohr genau hin­schau­en wol­len und erkannt, dass Jupi­ter auch Mon­de hat und damit die Ein­zig­ar­tig­keit der Erde infra­ge gestellt und auch damit für das koper­ni­ka­ni­sche Welt­bild argu­men­tiert. Das ist ja letzt­lich wie­der so eine Intui­ti­on. Nur viel schwe­rer nach­zu­wei­sen als die Fall­ge­set­ze. Denn mit dem Son­nen­sys­tem kann man kei­ne Expe­ri­men­te machen. Man kann nur genau mes­sen. Nun war Gali­lei aber nicht nur Expe­ri­men­ta­tor, son­dern auch Pla­to­ni­ker und damit blieb für ihn aus­ge­macht, dass die Him­mels­be­we­gun­gen der gött­li­chen Kreis­form fol­gen müs­sen. Und dar­um pass­ten sei­ne (und des Koper­ni­kus‘) Berech­nun­gen zu den Pla­ne­ten­bah­nen genau­so wenig wie die tra­di­tio­nel­len. So klar war im 16./Anfang des 17. Jhdt. also noch nicht, dass Koper­ni­kus recht hat­te mit sei­nem helio­zen­tri­schen Welt­bild. Und es gab ja auch nach wie vor das Par­al­la­xen­pro­blem, das schon Arist­arch hat­te. Und so war es voll­kom­men sach­ge­mäß, dass Gali­leis Freund, Papst Urban VIII, Maf­feo Bar­be­ri­ni, ihn mahn­te, sei­ne Theo­rie nur als Hypo­the­se vor­zu­tra­gen. Aber wenn Schüler_innen mal Brechts Gali­lei gele­sen haben, ein wun­der­ba­res Werk, hat sich eine etwas ande­re Dar­stel­lung eingebrannt.

Eine har­te Nuss stell­ten für die mathe­ma­ti­sche Beschrei­bung die Bewe­gun­gen im Son­nen­sys­tem dar.

Koper­ni­kus und Gali­lei hat­ten recht, dass die Erde sich um die Son­ne bewegt 1x im Jahr und die Erde sich um sich selbst dreht 1 x am Tag, so dass sich der Fix­stern­him­mel nur schein­bar bewegt.

Bei­de hat­ten unrecht dar­in, dass sie von einer Kreis­bahn der Erde aus­gin­gen, was dazu führ­te, dass ihre Berech­nun­gen auch nicht viel bes­ser mit den Beob­ach­tun­gen über­ein­stimm­ten. Sie waren noch fixiert auf die himm­li­sche und gött­li­che Kreisform.

Bei­de hat­ten unrecht dar­in, dass der Fix­stern­him­mel fix ist und die Son­ne der Mit­tel­punkt des Welt­alls. Statt wie Giord­a­no Bru­no (1600 in Rom als Ket­zer ver­brannt) nach Koper­ni­kus und vor Gali­lei sag­te: die Son­ne ist ein Stern unter vielen.

Es brauch­te die Zusam­men­ar­beit eines peni­blen Empi­ri­kers und eines Theo­re­ti­kers, der des­sen Daten ernst­nahm, um das helio­zen­tri­sche Welt­bild wirk­lich plau­si­bel zu machen. Der Empi­ri­ker war Tycho Bra­he, der Theo­re­ti­ker war Johan­nes Kep­ler. Er lös­te sich von dem Vor­ur­teil, die Pla­ne­ten­bah­nen müss­ten kreis­för­mig sein. Er erfass­te und das war sicher­lich letzt­lich wie­der intui­tiv, durch Erra­ten, dass eine Ellip­sen­bahn unend­lich bes­ser passt und die­se Ent­täu­schung mil­der­te er etwas ab, indem die Son­ne immer­hin in einen der Brenn­punk­te der ellip­ti­schen Bahn rück­te und damit, dass er drei mathe­ma­ti­sche Geset­ze die­ser Bewe­gung for­mu­lie­ren konnte.

Den­noch behielt die himm­li­sche Sphä­re etwas Gött­li­ches. Das wie­der­um änder­te sich mit New­ton, der den Ein­fall hat­te, der Mond, die Pla­ne­ten und Son­nen sei­en eigent­lich Äpfel, die durch die Gra­vi­ta­ti­ons­kraft anzie­hen und ange­zo­gen wer­den. Ein Tri­umph der gran­dio­sen Ver­ein­heit­li­chung der Phä­no­me­ne, die bis dahin ihren eige­nen Geset­zen, und zwar ent­we­der irdi­schen oder himm­li­schen, folgten.

200 Jah­re schien mit New­ton das aller­meis­te geklärt. Und er hat­te ja auch konstatiert:

Die Natur thut nichts ver­ge­bens. … Die Natur ist näm­lich ein­fach, und schwelgt nicht in über­flüs­si­gen Ursa­chen der Dinge.
(Mathe­ma­ti­sche Prin­zi­pi­en der Natur­leh­re, hg.v. J. Ph. Wol­fers, Darm­stadt 1963, Nach­druck der Aus­ga­be Ber­lin 1872, S. 380)

Als Max Planck 1874 nach dem Abitur über­leg­te, ob er Musik, Alt­phi­lo­lo­gie oder Phy­sik stu­die­ren soll­te, sag­te ihm ein Phy­sik­pro­fes­sor, dass in der Phy­sik eigent­lich „nur noch eini­ge unbe­deu­ten­de Lücken zu schlie­ßen“ wären.

Wir zie­hen mal eine Zwi­schen­bi­lanz: Sowohl die Phy­sik als auch etwas spä­ter die Bio­lo­gie kön­nen erstaun­lich ein­fa­che und gleich­zei­tig für einen wei­ten Anwen­dungs­be­reich gül­ti­ge Geset­ze formulieren.

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Die Welt wird fremd
Relativitätstheorie und Quantenphysik

Doch dann kam die gro­ße Ver­wir­rung bzw. Revo­lu­ti­on: es ist (schein­bar unnö­tig!) gigan­tisch viel kom­ple­xer. Rela­ti­vi­täts­theo­rie und Quantenmechanik.

Spe­zi­el­le und all­ge­mei­ne Relativitätstheorie

Die Rela­ti­vi­täts­theo­rie macht die Zeit rela­tiv. Ange­nom­men Sie neh­men zwei Atom­uh­ren, die auf dem phy­si­ka­li­schen Vor­gang des Atom­zer­falls (z.B. von Cäsi­um) beru­hen und schi­cken eine mit einem Satel­li­ten auf eine Umlauf­bahn um die Erde und wie­der zurück. Dann ver­glei­chen Sie die Uhren und stel­len fest: Die, die 1 Tag  im Welt­all war, ist um 38 Mikro­se­kun­den schnel­ler gelau­fen. Dann sagen Sie: Ist ja klar. Wegen Ein­steins Spe­zi­el­ler Rela­ti­vi­täts­theo­rie lief sie ja 7 ms lang­sa­mer, weil sie sich schnel­ler beweg­te, aber 45 ms schnel­ler, weil sie sich nach Ein­steins All­ge­mei­ner Rela­ti­vi­täts­theo­rie nicht so sehr der Gra­vi­ta­ti­on durch die Erde aus­ge­setzt war, macht in der Sum­me 38 ms schnel­ler. Und wenn Sie für das GPS zustän­dig sind, dann sagen sie viel­leicht noch: gut, dass ich das schon wuss­te, denn sonst wür­den die Navi­ga­ti­ons­sys­te­me inner­halb von 1 Tag 10 km dane­ben liegen.

Die Rela­ti­vi­täts­theo­rien sind also nicht nur eine mathe­ma­ti­sche Spie­le­rei. Den zugrun­de lie­gen­den Theo­rien und For­meln gelingt es, rea­le Vor­gän­ge zu beschrei­ben und abzubilden.

Ein­stein hat das Ver­ständ­nis von Gra­vi­ta­ti­on revo­lu­tio­niert. Schon New­ton war nicht wohl dabei gewe­sen, dass die Gra­vi­ta­ti­on sozu­sa­gen eine Fern­wir­kung aus­übt, womög­lich ohne Zeit­ver­zö­ge­rung, sehr geheim­nis­voll. Nach Ein­stein wer­den sogar Pho­to­nen (Licht), obwohl sie kei­ne Ruhe­mas­se haben, den­noch durch die Gra­vi­ta­ti­on abge­lenkt, denn Ener­gie haben sie ja (E= mc²). Was aber pas­siert, wenn die Gra­vi­ta­ti­on wirkt ist, dass die gekrümm­te Raum­zeit ihre Wir­kung tut. Wir kön­nen uns ein gespann­tes elas­ti­sches Tuch vor­stel­len, wor­auf klei­ne Kugeln gelegt wer­den. Sie drü­cken das Tuch ganz leicht ein. Nun wird in die Mit­te eine schwe­re Kugel gelegt. Was pas­siert: die klei­nen wer­den nicht von ihr „ange­zo­gen“, son­dern rol­len ein­fach ihrer Bahn ent­spre­chend auf die tie­fer­lie­gen­de gro­ße Kugel zu.

„Der Raum sagt der Mate­rie, wie sie sich zu bewe­gen hat. Die Mate­rie sagt dem Raum, wie er sich zu krüm­men hat.“ (Charles Mis­ner, Kip Thor­ne, John Whee­ler Gra­vi­ta­ti­on, 1973, zit. nach Spek­trum 4.2025, S.32)

Ein­stein sag­te auch vor­aus, dass sich die Licht­ab­len­kung beob­ach­ten las­sen müss­te.  Der vor­her­ge­sag­te Gra­vi­ta­ti­ons­lin­sen­ef­fekt wur­de 1919 bei einer Son­nen­fins­ter­nis bestä­tigt (durch Sir Arthur Edding­ton).[1] Das mach­te Ein­stein welt­be­kannt und er war der bis­lang ein­zi­ge Wis­sen­schaft­ler, für den aus die­sem Anlass eine Kon­fet­ti-Para­de (ticker-tape para­de) auf dem New Yor­ker Broad­way abge­hal­ten wur­de. So haben sich Men­schen mal für Wis­sen­schaft begeis­tert. Mit grö­ße­rer Genau­ig­keit wur­de der Effekt 1967 bestä­tigt, wäh­rend New­tons Vor­her­sa­ge wider­legt wurde.

[1] Ste­ven S. Sha­pi­ro und Irwin I. Sha­pi­ro, “Licht­ab­len­kung durch Gra­vi­ta­ti­on” in: Ein­stein Online Band 04 (2010), 03–1105 https://www.einstein-online.info/spotlight/lichtablenkung/

Quan­ten­theo­rie

New­ton hat­te Pho­to­nen auch Mas­se zuge­schrie­ben, die der Gra­vi­ta­ti­on unter­lie­gen. In der Phy­sik hat­te sich aber dann die Auf­fas­sung durch­ge­setzt, Licht sei als Wel­le zu betrach­ten, weil es wie Wel­len eben Beu­gung und Inter­fe­renz zeigt, also die Über­la­ge­rungs­mus­ter von Wel­len, wie wir es auch von zwei sich über­la­gern­den Wel­len­ber­gen des Was­sers ken­nen. Ein­stein hat­te Plancks Quan­ten­theo­rie 1905 unter­stützt, indem er zeig­te, dass auch Pho­to­nen die­se Quan­telung zei­gen. Er war da also näher an Newton.

Der genann­te Max Planck soll­te den Stein für die Ent­wick­lung der Quan­ten­theo­rie ins Rol­len brin­gen. 1899 und 1900 stell­te er die The­se auf, dass Ener­gie nur in dis­kre­ten Ener­gie­quan­ten emit­tiert wer­den kön­ne, was der eta­blier­ten Theo­rie wider­sprach. Das gilt für jede Strah­lung, jeden­falls stütz­te Ein­stein 1905 die The­se Plancks für Pho­to­nen, also Licht­quan­ten. Das schien aber der Wel­len­theo­rie des Lich­tes zu wider­spre­chen. Wir ken­nen wahr­schein­lich auch aus dem Phy­sik-Unter­richt die Expe­ri­men­te zur Beu­gung des Lichts und wir haben die typi­schen Inter­fe­renz­mus­ter von sich über­schnei­den­den Wel­len schon gese­hen, ganz ent­spre­chend den sich über­schnei­den­den Wel­len im Was­ser. Die Ener­gie­quan­ten wur­den aber immer stär­ker gestützt, z.B. als Niels Bohr die­se Vor­stel­lung auf Ato­me anwand­te, die tat­säch­lich ihre Ener­gie­be­trä­ge nur schritt­wei­se und nicht kon­ti­nu­ier­lich ändern können.

Die Quan­ten­theo­rie setzt noch einen drauf. Sie sagt: Strah­lung kann sich sowohl als Wel­le zei­gen oder auch als Teil­chen. Und gewis­ser Wei­se ist sie bei­des gleich­zei­tig. Der Dua­lis­mus von Wel­le und Teil­chen sprengt unse­re Vor­stel­lungs­kraft. Hin­zu kommt auch noch die Auf­wei­chung des Kau­sa­li­täts­prin­zips. Die Quan­ten­theo­rie sagt: Es hat kei­nen Sinn zu fra­gen, war­um sich ein ato­ma­rer Zer­fall gera­de jetzt und nicht gleich ereig­net, obwohl die durch­schnitt­li­che Halb­werts­zeit für eine grö­ße­re Zahl von Ato­men  genau ange­ge­ben wer­den kann. Aber wel­che Teil­chen nach dem Ablauf zer­fal­len sind und wel­che noch ein biss­chen zuwar­ten, ist nicht vor­her­sag­bar und Hei­sen­berg und die ande­ren Ver­tre­ter der Kopen­ha­ge­ner Deu­tung sagen, dass uns die Natur in gewis­ser Wei­se selbst zeigt, dass es kei­ne dahin­ter lie­gen­den Grün­de mehr gibt. Die Kau­sa­li­tät löst sich im Klei­nen in Sta­tis­tik auf.

Hei­sen­berg erzählt: „Ich erin­ne­re mich an Dis­kus­sio­nen mit Bohr, die bis spät in die Nacht dau­er­ten und fast in Ver­zweif­lung ende­ten. Und wenn ich am Ende sol­che Dis­kus­sio­nen noch allein einen kur­zen Spa­zier­gang im benach­bar­ten Park unter­nahm, wie­der­hol­te ich mir immer und immer wie­der die Fra­ge, ob die Natur wirk­lich so absurd sein kön­ne, wie sie uns in die­sen Atom­ex­pe­ri­men­ten erschien.“ (Wer­ner Hei­sen­berg: Quan­ten­theo­rie und Phi­lo­so­phie, Stutt­gart 1983 [Reclam Uni­ver­sal-Biblio­thek Nr. 9948, S. 19). 1926

Ein­stein, der die so küh­ne und der mensch­li­chen Intui­ti­on wider­spre­chen­de Spe­zi­el­le und All­ge­mei­ne Rela­ti­vi­täts­theo­rie ent­wi­ckelt hat, emp­fand einen Wider­wil­len gegen die Unbe­stimmt­heit der Quan­ten­theo­rie und gegen die Trans­for­ma­ti­on der Kau­sa­li­tät im sub­ato­ma­ren Bereich in Wahr­schein­lich­keit. Gott wür­felt nicht. Aber er hat natür­lich auch wis­sen­schaft­lich ver­sucht dage­gen­zu­hal­ten und so etwa das nach ihm und zwei wei­te­ren Autoren soge­nann­te EPR-Para­do­xon ent­wi­ckelt, um in einem Gedan­ken­ex­pe­ri­ment zu zei­gen, dass die Hei­sen­berg­sche Quan­ten­theo­rie zu absur­den Schluss­fol­ge­run­gen zwingt. Als man uner­war­te­ter­wei­se aus dem Gedan­ken- ein rea­les Expe­ri­ment machen konn­te, zeig­te sich aber dass die Natur tat­säch­lich so absurd ist wie Ein­stein es nicht für mög­lich gehal­ten hat­te. So kön­nen Teil­chen ver­schränkt sein (z.B. Pho­to­nen oder Elek­tro­nen) und selbst wenn sie auf gro­ße Distanz getrennt wer­den, blei­ben sie ein Sys­tem, auch wenn sie selbst mit Licht­ge­schwin­dig­keit kei­ne Infor­ma­ti­on aus­tau­schen können.

Und heu­te wer­den Com­pu­ter ent­wi­ckelt, die auf der Quan­ten­ver­schrän­kung beru­hen, die Ein­stein so ver­rückt erschien.

Die Welt ist also mit der Mathe­ma­tik aus unse­ren Köp­fen unglaub­lich prä­zi­se beschreib­bar. Zuerst schien das eine ziem­lich ein­fa­che Mathe­ma­tik zu sein und die Natur­ge­set­ze eini­ger­ma­ßen anschau­lich und gut nach­voll­zieh­bar, eine schö­ne Har­mo­nie zwi­schen Welt und Ver­ste­hen, dann aber wur­de die Mathe­ma­tik kom­pli­ziert, das Gan­ze nicht mehr anschau­lich nach­voll­zieh­bar und den­noch funk­tio­nier­te es mit anspruchs­vol­le­rer Mathe­ma­tik doch wieder.

Ver­rück­ter­wei­se ist ein Lebe­we­sen ent­stan­den, das zu einer Mathe­ma­tik fähig ist, die die Welt beschreibt; ein Lebe­we­sen, das sei­nem eige­nen Wer­den im Ver­lauf einer Evo­lu­ti­on auf die Schli­che gekom­men ist. Ein Mole­kül­hau­fen denkt über Mole­kü­le nach, wir über uns.

Das ist zum Stau­nen. Wis­sen­schaft­lich sehe ich nur eine Erklä­rungs­mög­lich­keit: Da das Gehirn ja nicht im Kon­text der Rela­ti­vi­täts­theo­rie ent­stan­den ist, muss das Gehirn aus ande­ren Grün­den so kom­plex gewor­den sein, dass es auch zu sol­chen gedank­li­chen Spie­le­rei­en und Ope­ra­tio­nen fähig ist, jeden­falls wenn es eine Rei­he von Jah­ren die Schul­bank gedrückt hat. Es ist schon ver­ständ­lich, dass Phy­si­ker den Ein­druck hat­ten, sie den­ken mit ihrer Mathe­ma­tik dem Mathe­ma­tik-Genie Gott hinterher.

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Wie kann es uns geben?

In den „Kata­log mensch­li­cher Grund­be­dürf­nis­se“ gehört, soweit wir zurück­bli­cken kön­nen, immer schon die Ver­ge­wis­se­rung über die Her­kunft der Welt, der ande­ren Lebe­we­sen und des Men­schen selbst. Die Schöp­fungs­my­then aus allen Kul­tu­ren legen davon bered­tes Zeug­nis ab.

Des­halb hat wahr­schein­lich jede und jeder schon von der Urknall­theo­rie gehört. Dass das Uni­ver­sum sich aus­dehnt, ist anhand der Rot­ver­schie­bung des Lich­tes aus ent­fern­ten Gala­xien sehr gut abzu­le­sen. Die Rot­ver­schie­bung wur­de zuerst von Edwin Hub­ble 1929 ent­deckt. Je wei­ter Gala­xien ent­fernt sind, des­to schnel­ler ent­fer­nen sie sich. Für die­ses Maß hat man die Hub­ble-Kon­stan­te. Und die­se ist erst vor ein paar Jah­ren vom Ata­ca­ma Cos­mo­lo­gy Telescope in Über­ein­stim­mung mit den bis­he­ri­gen Abschät­zun­gen prä­zi­siert wor­den. Eine Gala­xie, die 3,26 Mio. Licht­jah­re von uns ent­fernt ist, ent­fernt sich mit 67–68 km/s. Eine dop­pelt so weit ent­fern­te dop­pelt so schnell. Rech­net man zurück, wann alles auf kleins­tem Raum begon­nen hat, kommt man auf 13,8 Mrd. Jah­re.  Sie haben sicher schon von der Urknall­strah­lung gehört, die sich bis heu­te zur Hin­ter­grund­strah­lung ver­dünnt hat. Sie stammt nicht wirk­lich vom Urknall, son­dern aus der Zeit unge­fähr 380.000 Jah­re nach dem Urknall, als Strah­lung nicht mehr stän­dig auf­ge­hal­ten wur­de, son­dern sich durch ein durch­sich­ti­ger wer­den­des Uni­ver­sum aus­brei­ten konn­te. Die dama­li­gen 3000 K wur­den inzwi­schen zu knapp 2,725 Grad Kel­vin „ver­dünnt“ und abge­kühlt. Die Strah­lung kommt aus allen Rich­tun­gen. Obwohl ihre Exis­tenz vor­aus­ge­sagt war, haben die Kos­mo­lo­gen nicht nach ihr gesucht, teils weil eine Skep­sis da war über eine Aus­sa­ge über den Ursprung der Welt, teils weil die Idee des Urknalls eini­gen Kos­mo­lo­gen doch zu nah an einer mono­the­is­ti­schen Schöp­fungs­vor­stel­lung schien. Aber dann wur­de sie 1964 zufäl­lig ent­deckt von Arno Pen­zi­as und Robert Wood­row Wil­son beim Test einer neu­en emp­find­li­chen Anten­ne. Zufäl­li­ger ist wohl nie­mand an einen Phy­sik­no­bel­preis (1978) gekom­men als die­se beiden.

„Die Ent­de­ckung des Big Bang war eine der umwäl­zends­ten Revo­lu­tio­nen des wis­sen­schaft­li­chen Den­kens aller Zei­ten.“ (Gian Fran­ces­co Giudi­ce: Vor dem Big Bang, Sprin­ger-Ver­lag 2024)

Nach Ste­ven Wein­berg „zwang“ die­se Ent­de­ckung die Kos­mo­lo­gen ihre Urknall­theo­rie ernst zu neh­men. Noch ein­mal: Das wünscht man sich von einer Theo­rie, dass sie selt­sa­me Vor­aus­sa­gen macht, die sich dann über­ra­schen­der Wei­se bestä­ti­gen. Und dies ver­stärkt das Stau­nen dar­über, dass wir viel­leicht nicht zu wah­ren aber sehr oft zu tref­fen­den wis­sen­schaft­li­chen Theo­rien und Aus­sa­gen gelan­gen, die eine Über­ein­stim­mung von dem da drau­ßen und den durch neu­ro­lo­gi­sche Pro­zes­se ent­wi­ckel­ten und aufs Papier, an die Tafel oder den PC geschrie­be­nen For­meln, Berech­nun­gen und Theorien.

Und auch dies möch­te ich beto­nen: in unse­rem Uni­ver­sum gel­ten die bekann­ten Natur­ge­set­ze durch­gän­gig. Wenn Strah­lung von fer­nen Ster­nen mit Mole­kü­len kol­li­diert bil­den sich die bekann­ten Spek­tral­li­ni­en, die für bestimm­te Ele­men­te oder Mole­kü­le nun ein­mal cha­rak­te­ris­tisch sind, und die wir in der emp­fan­ge­nen Strah­lung fest­stel­len. Genau­so wie man aus Wär­me­strah­lung, die auf­ge­fan­gen wird, fest­stel­len kann, ob sie von einem CO2-Mole­kül reflek­tiert wur­de und des­we­gen wie­der auf die Erde von der sie aus­ge­gan­gen war.

Immer schär­fer stell­te sich den Kos­mo­lo­gen die Fra­ge: War­um ist das Uni­ver­sum genau so, dass kom­ple­xe Struk­tu­ren ent­ste­hen konn­ten, Gala­xien und letzt­lich Leben und letzt­lich intel­li­gen­tes Leben?

Wo und wie soll in dem hei­ßen Gas­ge­misch des Urknalls drin­ste­cken, was es an bun­ter und raf­fi­nier­ter Lebens­viel­falt ein­mal geben wird?

Wäre die Gra­vi­ta­ti­ons­kraft nur ein wenig stär­ker gewe­sen, wären die Ster­ne so schnell ver­brannt, dass sie der bio­lo­gi­schen Evo­lu­ti­on kei­ne Zeit gelas­sen hät­ten, kom­ple­xe Orga­nis­men zu ent­wi­ckeln. Wäre sie nur ein wenig schwä­cher gewe­sen, hät­te sich Mate­rie nicht zu sta­bi­len galak­ti­schen Struk­tu­ren ver­dich­ten kön­nen. (Giudi­ce, a. O. S.253)

Wur­de [also] das Uni­ver­sum geschaf­fen, um Leben zu beher­ber­gen? Das ist das Mys­te­ri­um der Mys­te­ri­en. (S. 147)

Die Glei­chun­gen der All­ge­mei­nen Rela­ti­vi­täts­theo­rie erlau­ben eine enor­me Viel­falt mög­li­cher Uni­ver­sen, aber fast kei­nes von ihnen bie­tet die not­wen­di­gen Bedin­gun­gen für die Evo­lu­ti­on irgend­ei­ner Form von Leben. Aus die­ser Per­spek­ti­ve erscheint das Uni­ver­sum, in dem wir leben, völ­lig unwahr­schein­lich – oder sorg­fäl­tig aus­ge­wählt von einer unsicht­ba­ren Hand.“ (S. 149)

Es gibt aber eine Alter­na­ti­ve zu die­ser Sicht.

Wenn man annimmt, dass stän­dig Uni­ver­sen ent­ste­hen, die vie­le, ja unend­lich vie­le Mög­lich­kei­ten durch­spie­len, dann braucht es uns nicht zu wun­dern, dass wir exis­tie­ren. Denn in den aller- aller­meis­ten Uni­ver­sen exis­tiert kein Leben – und dort wun­dert sich auch niemand.

Ich sag­te schon: Die Quan­ten­theo­rie braucht eigent­lich kein Mensch. Die Phy­sik hät­te so schön oder jeden­falls ver­ständ­lich sein kön­nen ohne sie. Jetzt aber zeigt sich mög­li­cher­wei­se: Das Uni­ver­sum braucht die Quan­ten­theo­rie, weil das Uni­ver­sum, nach­dem es in einer immensen Infla­ti­on auf­ge­bläht wur­de, sonst so total homo­gen gewe­sen wäre, dass sich kei­ne Struk­tu­ren gebil­det hät­ten, also letzt­lich Gala­xien, Son­nen­sys­te­me etc. Aber win­zi­ge Quan­ten­fluk­tua­tio­nen haben sich durch die Gra­vi­ta­ti­on zu Mate­rie­an­samm­lun­gen ver­grö­ßert und waren damit die Vor­aus­set­zung für alle kom­ple­xe­ren Struk­tu­ren wie Gala­xien etc.. So jeden­falls die der­zei­ti­ge Fas­sung der Urknall­theo­rie kom­bi­niert mit der Theo­rie der Infla­ti­on des Uni­ver­sums und womög­lich der String­theo­rie. „Wir exis­tie­ren an die­sem Ort im Uni­ver­sum nur dank die­ser win­zi­gen und zufäl­li­gen Quan­ten­zu­ckun­gen.“ (Giudi­ce, a. O. S. 203)

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Der Blick aufs Ganze

Die­ses Anwach­sen der Kom­ple­xi­tät kön­nen wir ver­fol­gen in der Ent­wick­lung des Kos­mos von den Ele­men­tar­teil­chen über Ato­me, die dann in Super­no­va­ex­plo­sio­nen auch schwe­rer sein konn­ten und aus denen wir letzt­lich zum gro­ßen Teil bestehen, über Mole­kü­le und dann – nach dem 2. Urknall der Lebens­ent­ste­hung – über Ein­zeller, Viel­zel­ler, immer kom­ple­xe­re Lebe­we­sen, Lebe­we­sen mit zen­tra­lem Ner­ven­sys­tem und einem Bewusst­sein bis hin zu intel­li­gen­tem Leben mit refle­xi­vem Bewusst­sein, also der Fähig­keit zu wis­sen, dass wir wis­sen. Wahr­neh­men zu kön­nen, dass wir wahrnehmen.

Was ist das Kom­ple­xes­te im gan­zen Uni­ver­sum? Es sind sicher nicht die Gala­xien, es ist ver­mut­lich das mensch­li­che Gehirn.

Und es war ins­be­son­de­re Teil­hard de Char­din, der sozu­sa­gen den Blick aufs Gan­ze wag­te und von einem Pro­zess der Kom­ple­xi­fi­ka­ti­on sprach.

Und zur kos­misch-bio­lo­gi­schen Stei­ge­rung kommt die wach­sen­de Kom­ple­xi­tät unse­rer Welt­sicht, sie wird ratio­na­ler, plu­ra­lis­ti­scher, teil­wei­se kos­mo­po­li­tisch oder gar integral.

Teil­hard de Chard­ins sprach von der ent­stan­de­nen Noo­sphä­re, der geis­ti­gen Sphäre.

Und eine ana­lo­ge Kom­ple­xi­täts­stei­ge­rung voll­zieht sich auch in den sozia­len Orga­ni­sa­tio­nen. Ein Staat ist kom­ple­xer als ein Stamm, die EU kom­ple­xer als Ein­zel­staa­ten und die UNO ist aber­mals komplexer.

Kom­plex ist etwas, das nicht nur aus vie­len Tei­len besteht, son­dern auch aus viel­fäl­ti­gen, ver­schie­de­nen Tei­len, die dazu noch sinn­voll inter­agie­ren, koope­rie­ren und orga­ni­siert sind.

Wie bei Teil­hard domi­niert bei Ken Wil­ber eine opti­mis­ti­sche Sicht. Bei­de neh­men die­se Dyna­mik des Zusam­men­schlus­ses ernst neh­men. Und so kann Wil­ber sagen:

„Die Mensch­heit steht zum ers­ten Mal in ihrer Geschich­te vor der Mög­lich­keit einer Welt ohne gro­ße und tief ver­wur­zel­te Kon­flik­te und einer Welt, die immer häu­fi­ger von gegen­sei­ti­ger Tole­ranz, Umar­mung, Frie­den, Inklu­si­on und Mit­ge­fühl geprägt ist. Und alles, was wir tun müs­sen, damit dies geschieht, ist, ein­fach wei­ter zu wach­sen!“[1]

Wil­ber ist mir zu opti­mis­tisch. Bei der Pro­zess­theo­lo­gin Cathe­ri­ne Kel­ler fin­de ich eine grö­ße­re Offen­heit die­ses Pro­zes­ses, in dem wir glo­bal ste­hen, und das gibt der Gegen­wart von der Hal­tung her eine grö­ße­re Ernst­haf­tig­keit. Und natür­lich wird vie­les nach mei­nem Emp­fin­den und Wis­sen von Ken Wil­ber zu glatt dar­ge­stellt. Gleich­wohl tei­le ich voll das Inter­es­se, an einer inte­gra­len Sicht der vie­len Ent­wick­lun­gen, in denen wir ste­hen, zu arbei­ten: bio­lo­gi­sche Ent­wick­lun­gen, kul­tu­rel­le, kogni­ti­ve, mora­li­sche, sozia­le, demo­gra­fi­sche. Denn ich fin­de alle Ent­wick­lun­gen erstaun­lich, haben sie doch immer wie­der Neu­es und Über­ra­schen­des gebo­ten und wer­den sie wei­ter bieten.

Abschlie­ßend zwei Zita­te aus dem Buch von Lorenz Mar­ti Eine Hand­voll Sternenstaub

Sicher, wir sind nur eine Hand­voll Ster­nen­staub, der von irgend­ei­ner Super­no­va ins All gespuckt wur­de. Und doch ist es die­ser Hand­voll Staub gelun­gen, das Uni­ver­sum, das sie umgibt, zu ver­ste­hen. Die Mensch­heit ist etwas Beson­de­res, weil sie sich ihrer Exis­tenz bewusst ist und den Ver­stand hat, Fra­gen über den Ursprung des Uni­ver­sums zu stel­len, und weil sie die Lei­den­schaft hat, die Suche nach Ant­wor­ten zu verfolgen.

Ein alter Rab­bi gab sei­nen Schü­lern einen ein­fa­chen Rat mit auf den Weg: Sie soll­ten immer zwei Zet­tel bei sich tra­gen und je nach Bedarf lesen. Auf dem einen soll ste­hen: »Ich bin Staub und Asche«. Und auf dem ande­ren: »Um mei­net­wil­len ist die Welt erschaf­fen worden.«

[1] Das Zitat von Wil­ber im eng­li­schen Ori­gi­nal: “the human race, for the first time ever in its histo­ry, is hea­ding toward at least the pos­si­bi­li­ty of a world bey­ond major and deep-sea­ted con­flict, and toward one mark­ed more and more often by mutu­al tole­rance, embrace, peace, inclu­si­on, and com­pas­si­on. And all we have to do for this to hap­pen is just con­ti­nue to grow!” So Ken Wil­ber in The Reli­gi­on of Tomor­row von 2017. S. 39