Gewalt. Eine neue Geschichte der Menschheit. Steven Pinker, Professor für Psychologie an der Harvard-Universität, hat ein monumentales Werk zur Kulturgeschichte der Gewalt geschrieben. Er liefert akribisch Belege für eine kulturell bedingte Abnahme von Grausamkeit, Krieg und Gewalt. Pinker weiß, wie sehr er damit der vorherrschenden Intuition widerspricht; so beeilt er sich gleich drei Einschränkungen zu machen: »Natürlich war es kein stetiger Rückgang; die Gewalt ist nicht auf Null zurückgegangen; und es gibt keine Garantie, dass es so weitergeht.«
Vor allem die dritte Einschränkung ist wichtig. Denn, wenn man auch bislang noch nicht von Klimakriegen sprechen kann, so ist doch erkennbar, dass sich Konflikte um Wasser und andere Ressourcen weiter zuspitzen. Jared Diamond hat in seinem Buch »Kollaps« in einer überraschenden Analyse gezeigt, dass schon das Morden in Ruanda vor 20 Jahren durch Überbevölkerung und den Kampf um Ressourcen mit befeuert wurde. Steven Pinker ist überzeugt, nachweisen zu können, dass der Rückgang der Gewalt sich in ganz verschiedenen Bereichen vollzogen habe: »in der Familie, im persönlichen Umfeld, zwischen Bevölkerungsgruppen… und zwischen größeren Nationen und Staaten«. So habe sich vom Spätmittelalter bis zum 20. Jahrhundert in den europäischen Staaten bedingt durch die zunehmende staatliche Gewalt ein zehn- bis fünfzigfacher Rückgang der Mordquote vollzogen. Aber auch zwischen den Staaten nehmen die kriegerischen Konflikte ab, so spricht man für die Zeit seit dem 2. Weltkrieg vom Langen Frieden.
Grundsätzlich sieht er fünf Kräfte am Werk, die den Trend unterstützen: ein sich verstärkendes Gewaltmonopol des Staates, wirtschaftliche Zusammenarbeit, einen Prozess der Feminisierung, zunehmendes Weltbürgertum und die Beförderung der Vernunft.
Aber Pinker identifiziert und analysiert auch kleinere Trends. Besonders interessant: Die seit 1650 in Europa stark steigende Alphabetisierungsrate und die einsetzende Begeisterung für das Lesen verstärkte offenbar die Fähigkeit, andere Perspektiven einzunehmen. Das Ende des 18. Jahrhunderts war so gleichzeitig die Blütezeit der sog. Humanitären Revolution wie die der Briefromane, die die Empathie für ein individuelles anderes Menschenleben erforderten und förderten.
Nach der Lektüre des Werkes von Pinker kann man sich nur schwer seiner Schlussfolgerung entziehen: »Der Rückgang der Gewalt dürfte die bedeutsamste und am wenigsten gewürdigte Entwicklung in der Geschichte unserer Spezies sein.«
Steven Pinker: Gewalt. Eine neue Geschichte der Menschheit, Frankfurt am Main 2011.
Originalausgabe: The Better Angels of Our Nature. Why Violence has Declined, New York 2011.