Was mich an die­sem Bild fas­zi­niert ist die Prä­senz Jesu. Mit offe­nen Augen, ganz dem ande­ren zuge­wandt, und doch ent­spannt, locker man beach­te das Spiel­bein, und doch in sich ruhend, steht er da. Es ist als sei er eben erst her­zu­ge­tre­ten und hat etwas völ­lig Neu­es her­ein­ge­bracht, in die­sen Tem­pel, in die Welt.

Ja, er berührt mit der rech­ten Hand die Hand des Schrift­ge­lehr­ten, der offen­bar gera­de etwas sagt, um nicht zu sagen doziert. Wagt er es, ihn sanft zu unter­bre­chen? Will er damit eine Scheindis­kus­si­on auf ein höhe­res Niveau brin­gen, oder bes­ser eine tie­fe­re Grund­la­ge stellen?

Die schnel­len Ant­wor­ten sind nur sel­ten die, die uns hel­fen. In einem klei­nen Kaf­ka-Text ent­schul­digt sich der, der kei­ne Ant­wor­ten zu geben wuss­te, will auf­ste­hen und gehen; dar­auf der Fra­gen­de: „Bleib, das war ja nur eine Prü­fung, wer die Fra­gen nicht beant­wor­tet, hat die Prü­fung bestan­den.“ Schnel­le Ant­wor­ten hel­fen selten.

Wer ant­wor­ten will, muss ver­stan­den haben, ja, oft ist das Ver­ste­hen die Ant­wort, die wir ein­an­der geben können.

Oft ist die Ant­wort, die wir ein­an­der geben kön­nen, die, dass wir die Fra­ge aus­hal­ten, gemein­sam aushalten.

Wenn jemand mei­ne Fra­ge aus­hält, erfah­re ich: ich bin kein Frem­der in die­ser Welt; jemand teilt mein Fra­gen und Suchen.

Jesus wie er hier steht, wie ihn Rou­ault malt, ist die Ant­wort, ist die Ant­wort in sei­ner frei­en unge­küns­tel­ten Zuwen­dung, die eine außer­or­dent­li­che Begeg­nung und Dia­log­er­fah­rung ermöglicht.

Wir sind auf Begeg­nun­gen ange­wie­sen, wer­den – wie Mar­tin Buber for­mu­lier­te – am Du zum Ich.

Aber wie oft erle­ben wir unge­teil­te Zuwen­dung? Die Wirk­sam­keit einer Psy­cho­the­ra­pie scheint weit­ge­hend unab­hän­gig von der Schul­rich­tung und dem Ver­fah­ren dann wirk­sam zu sein, wenn der The­ra­peut empa­thisch und authen­tisch ist.

Was erle­ben wir näm­lich, wenn wir ver­ste­hen­de Zuwen­dung erfah­ren? Wir erle­ben: das, was in mir vor­geht, ist mit­teil­bar ich bin nicht iso­liert, und es ist einer Ant­wort wert, ich bin einer Ant­wort wert.

Viel­leicht kann ja die Prä­senz und Zuge­wandt­heit Jesu wie sie Geor­ge Rou­ault uns hier zeigt, uns prä­sent bleiben.

Jeden­falls, dass wir ver­ste­hen­des Ant­wor­ten gewäh­ren und selbst erfah­ren kön­nen, das wün­sche ich uns.

Und ich möch­te Sie, so gut ich kann,
bit­ten, lie­ber Herr, Geduld zu haben
gegen alles Unge­lös­te in ihrem Herzen
und zu ver­su­chen, die Fra­gen selbst
lieb zu haben wie ver­schlos­se­ne Stuben
und wie Bücher, die in einer sehr fremden
Spra­che geschrie­ben sind.
For­schen Sie jetzt nicht nach den Antworten,
die Ihnen nicht gege­ben wer­den können,
weil Sie sie nicht leben könnten.
Und es han­delt sich dar­um, alles zu leben.
Leben Sie jetzt die Fragen.
Viel­leicht leben Sie dann allmählich,
ohne es zu mer­ken, eines fer­nen Tages in die Ant­wort  hinein.

Rai­ner Maria Rilke