Francisco de Goya (1746–1828): Aún aprendo – Noch immer lerne ich
Die Zeichnung stammt aus der letzten Lebenszeit Francisco de Goyas, nachdem er sich mit 80 Jahren nach Bordeaux (Burdeos) zurückgezogen hat, wo er dann auch gestorben ist. Es wird vermutet, dass es autobiografische Züge trägt, und es ist eines der wenigen seiner Bilder, auf denen das Alter liebevoll dargestellt ist.
Noch immer lerne ich. Was ist gemeint? Lernt er aus der Erfahrung der Hinfälligkeit des menschlichen Lebens? Lernt er weiter über die Welt, die Menschen, das Malen? Tatsächlich gibt es ein Bild, das um 1827 entstanden ist, nämlich „Das Milchmädchen von Bordeaux“ (La lechera de Burdeos). Einige Kritiker mutmaßen, es könnte von Maria del Rosario Weiss (1814–1845) gemalt worden sein, vielleicht weil sie sich so schwer vorstellen können, dass ein Mann, der so daherkommt wie dieser, noch ein so bezauberndes und farbenprächtiges Bild malen könnte. Aber genau das ist unser Vorurteil, das nach dem Äußeren geht. So neigen wir z.B. dazu, bei einem an Parkinson Erkrankten mit einer erstarrten Mimik und undeutlicher Aussprache auf die innere Welt zu schließen – in Wahrheit aber ist diese so reich wie eh und je.
Natürlich gibt es oft einen tatsächlichen Abbau der kognitiven und mitunter auch der emotionalen Welt durch eine Krankheit, aber das lässt sich nicht aus dem Äußeren schließen.
Was lernt er immer noch? Nicht zuletzt wohl, mit seinen Einschränkungen zu leben, nun mit zwei Stöcken zu laufen.
Für Helmut Schelsky, den konservativen Soziologen, war 1959 das Alter „Ausruhen und Abklingen der Lebensanstrengung“. Genau in diesem Jahr war Josef Jakobs 63 Jahre alt, der sich allerdings dieses Wort von Schelsky nicht zu Herzen genommen hat, oder vielleicht zunächst doch. Aber als Josef Jakobs 24 Jahre später 87 Jahre alt war, bekam er das Gefühl, „dass in seinem Leben noch etwas passieren müsse“. Er begann zu studieren und es ging durch die Presse, als er mit 100 Jahren seine Doktorarbeit einreichte. Mit 102 Jahren zog er in ein Altenheim und starb wenige Monate später. Es ist ein lebensbejahender Trotz darin: Noch immer lerne ich.
Und Lernen ist ja in der Regel mit Glücksgefühlen verbunden, na ja: bis die Schule anfängt, die ja weithin mit der Unterstellung arbeitet, die Schüler würden nicht gerne lernen und müssten deshalb durch den Druck der Notengebung dazu gebracht werden.
Dass echtes Lernen immer als positiv erfahren wird, heißt nicht, dass nicht gerade auch aus Schwerem gelernt werden kann und vielleicht macht das Gefühl, etwas daraus lernen zu können, jedes Leiden ein klein bisschen oder sogar deutlich erträglicher. Beglückende Lernerfahrungen sind womöglich immer in Reichweite.