verborgen
Die Flucht im Bild
Die Heilige Familie auf der Flucht. Ein wunderbares Fresko aus dem 14. Jahrhundert in der Remigius-Kirche Nagold.
Es gibt idyllische Bilder von der Flucht, auf denen die Heilige Familie von Engeln begleitet und bewirtet wird. Es gibt aber auch Bilder wie dieses, das die Härte und Entbehrung, die mit einer Flucht verbunden ist, drastisch zeigt.
Man kann nicht umhin mitzufühlen, mit Maria, die mit jedem Finger ihrer Hände das Jesuskind zu halten bemüht ist, mit Josef, der eine abgemagerte und abgerissene Gestalt zeigt, ja, mitzufühlen mit dem Esel der am Ende seiner Kräfte zu sein scheint mit hängendem Kopf und Unterkiefer und doch darauf konzentriert, einen Fuß vor den anderen zu setzen in unwegsamem Gelände.
Die Frage beschäftigt mich immer wieder, ob Bilder wie dieses in den Jahrhunderten ihrer Wirkung die Betrachter milder, mitfühlender, empathischer gemacht haben. Luther hat die Bilder durchaus als Bibel fürs Volk würdigen können. Bei allem Vorrang, den er dem Wort der Heiligen Schrift einräumte, hat er doch die Bilderstürmer und Bilderhasser ebenso wie die Bilderverehrer kritisiert in den Invokavitpredigten von 1522: »Sie wollten aus der Freiheit ein Müssen machen, das kann Gott nicht leiden.« Und er verweist darauf, dass Paulus doch auch in Athen die Bilder nicht zerstört habe.
Wir leben wieder in einer stark durch das Bild bestimmten Kultur. „In einer Welt, in der man morgens die Zeitung aufschlagen kann und dann in die Augen eines nackten, entsetzten Mädchens blickt, das 15000 Kilometer von uns entfernt vor einem Napalmangriff davonläuft, kann kein Autor mehr die Ansicht vertreten, Krieg sei ‚die Grundlage aller hohen Tugenden und Fähigkeiten des Menschen’ oder er ‚erweitere den Geist des Menschen und erhebe ihren Charakter’“ meint Steven Pinker in seiner monumentalen Geschichte der Gewalt. Bringen Bilder uns ethisch und moralisch voran? Greenpeace hat sich – bzw. der Natur, den Walen und den Robben – die Macht der Bilder geschickt zunutze gemacht. Ja, Bilder vermögen unser Mitgefühl schlagartig zu aktivieren – so z.B. die Filmsequenzen, die erschöpfte, vor Kälte zitternde Flüchtlinge zeigen. Bilder können eine empathische Reaktion auslösen oder sogar zu einer Stärkung der Empathiefähigkeit führen.
Ein großes Aber ist unvermeidlich: Bilder können auch zur Propaganda eingesetzt werden, ISIS versucht dies absurderweise mit Bildern von Hinrichtungen. Wollen diese fanatischen Kämpfer Angst und Schrecken erzeugen? Die Ohnmacht ihrer Gegner demonstrieren? Wie ticken sie, dass sie nicht merken, dass die allermeisten Menschen weltweit mit Abscheu reagieren? In unserem kulturellen Gedächtnis kennen wir die barbarische Strafe der Kreuzigung eines Menschen, wie sie die Römer praktizierten zur Zurschaustellung der Ohnmacht der Aufrührer oder Sklaven. Auch Darstellungen Jesu am Kreuz empfinden heute nicht wenige Menschen als abstoßend. Doch das Bild dieser Kreuzigung steht für zweierlei: Für die Realität der menschlichen Grausamkeit und für die endgültige Entlarvung ihrer Absurdität. Ein leidender Gott in der Solidarität mit allen Entrechteten und Geschundenen ist das Symbol für compassion, Mitfühlen und Mitleiden, und eine starke Hoffnung auf eine Menschheit, die achthat auf die Schwächsten, Achtung hat für die Schwächsten.