„Doch das Böse gibt es nicht“ – ein Film des iranischen Regisseurs Mohammad Rasoulof. Das ist ein seltsamer Titel für einen Film über die Todesstrafe.
Für die einen, die Befürworter der Todesstrafe, gibt es das Böse und böse Menschen, die ihr Lebensrecht verwirkt haben.
Und für die anderen ist die Todesstrafe selbst Inbegriff des Bösen, ein Verstoß gegen die Menschenwürde.
Der Film – es sind eigentlich vier lose miteinander verbundene Episoden zum Thema Todesstrafe im Iran – wurde nicht umsonst auf der Berlinale 2020 mit dem Hauptpreis ausgezeichnet. Ob es belanglose Familiengespräche sind, ein verzweifelter Ausbruchsversuch, Szenen von zwei Verliebten oder grandiose Naturaufnahmen, der Betrachter ist gebannt und bleibt sich gleichwohl seiner Beobachterlage bewusst. Als am Ende das Auto in der Wüstenlandschaft zum Stehen kommt, bleibt die Entscheidung über die Weiterfahrt in der Schwebe. Reflektieren und Entscheiden, darum geht es Rasoulof.
In einem Interview mit dem Deutschlandfunk über seine eigenen Erfahrungen mit Gefängnismitarbeitern sagt er:
„Ich denke, dass diese Personen tatsächlich auf der einen Seite sehr schlimme Taten ausüben können und gleichzeitig in ihrem Alltag vielleicht ganz nette und höfliche Menschen sein können, die sogar von sich behaupten, dass sie vielleicht das, was sie machen, auch gar nicht unbedingt richtig finden, dass sie aber nur das Gesetz umsetzen.“
Das macht die erste Episode verstörend-abrupt klar: Gerade noch Kleinfamilien-Idylle und dann die geschäftsmäßige Tötung. In drei der vier Episoden bleibt lange im Dunkeln, wie sie mit dem Thema Todesstrafe verbunden sind.
Es sind wenige, die den verzweifelten Mut aufbringen, ihrer Gewissensklarheit zu folgen, es sind viele, die sich anpassen, und es sind abermals wenige, die böse oder, wenn es das nicht gibt, verblendet sind. Auch sie meinen wohl, sich anpassen zu müssen an religiöse oder ideologische Vorgaben, die sie nicht in der Lage sind, infrage zu stellen, weil diese Vorgaben den Status des Heiligen, des Unantastbaren in ihrem Denken in Anspruch genommen haben.
In der Diskussion zwischen Soldaten, die Hinrichtungen exekutieren, wirft einer (in der 2. Episode) die Frage auf, ob der Verweigerer denn meine etwas Besseres zu sein und die Last der Hinrichtung auf andere abwälzen wolle, die diese Arbeit nun wahrlich auch nicht gerne tun. Ausgerechnet die Solidarität mit den Kameraden kann gegen die eigene Überzeugung zur Beteiligung an grausamen Taten führen. Ausgerechnet Kooperationsbereitschaft und Fairness (alle laden die gleiche Schuld und Schmach auf sich) kann in menschenverachtender Weise ausgenutzt werden.
„Das, was ich in diesem Film zeigen möchte oder vielleicht auch als Interpretationsweise anbiete, ist, dass es sehr schwer ist, Nein zu sagen, dass es einen großen Preis hat, aber dass es auch sehr schön sein kann.“
Mohammad Rasoulof wurde im Juli 2022 festgenommen. Ihm war das Risiko, wie das Zitat zeigt, wohl bewusst.
Hanna Arendt wird mit ihrem Gedanken der „Banalität des Bösen“ Eichmanns tragender Rolle nicht „gerecht“ geworden sein, aber dass die „Banalität des Bösen“ ein totalitäres System und u. U. auch den Massenmord ermöglicht, ist eine wichtige Erkenntnis. Vielleicht liegt es auf der Linie von Rasoulof, wenn man sagt: An der Banalität des Bösen haben alle Menschen teil, es sei denn sie halten inne und sagen „Nein“.
Anmerkung 2024: Mohammad Rasoulof/Rasulof verließ im April oder Mai 2024 über Bergpfade zu Fuß den Iran, da ihm eine Gefängnisstrafe drohte u. a. wegen seines nachfolgenden Films The Seed of the Sacred Fig – Die Saat des heiligen Feigenbaums.
Siehe auch: Rutger Bregman, Im Grunde gut
und