Es gibt viele Begriffe, die anzeigen möchten, in welche Richtung sich unsere planetare Zivilisation entwickeln muss. Am häufigsten wird wohl von Nachhaltigkeit gesprochen, sustainibility.
Allerdings wirkt das deutsche Wort hölzern und man assoziiert mit ihm tendenziell ein Gebot und eine Einschränkung, aber keine positive Vision.
Welche Begriffe sind der Krise und den globalen Zielen angemessen?
Von den indigenen Völkern des Andenraums ausgehend hat sich die Idee des buen vivir (gut leben) verbreitet. Sie fand Eingang in die Verfassungen von Ecuador (2008) und Bolivien (2009). Das Weltsozialforum 2009 in Belém (Brasilien) verabschiedete einen Aufruf zum „Guten Leben“ mit dem Leitsatz „Wir wollen nicht besser leben, wir wollen gut leben“. Mit dieser Formulierung wird die zukunftsorientierte Steigerungslogik verabschiedet und der Fokus auf lebensfreundliche Bedingungen in der Gegenwart gelenkt.
In der Enzyklika Laudato si‘ von 2015 hat Papst Franziskus den Begriff der integralen Ökologie verwandt, um anknüpfend an Franz von Assisi die „Aufmerksamkeit gegenüber der Schöpfung Gottes und gegenüber den Ärmsten und den Einsamsten“ als Leitbild zu nehmen (§ 10). Im spanischen Original wird dabei vom Papst der Ausdruck ecología integral verwendet, in der deutschen Übersetzung wird dies meist als „ganzheitliche Ökologie“ wiedergegeben.
Papst Franziskus erwähnt und zitiert den wiederholt gemaßregelten (Befreiungs-)Theologen Leonardo Boff nicht, der vor ihm von „ganzheitlicher Ökologie“ gesprochen hat:
Nach und nach bricht eine neue Ära an, die sich durch eine neue gemeinsame Hochachtung, Verehrung und Zusammenarbeit zwischen Erde und Mensch auszeichnet. Es handelt sich um die Ära der ganzheitlichen Ökologie und der im Herzen verankerten Vernunft. Die Menschen … werden sich dessen bewusst, dass sie ein Netz von lebendigen Beziehungen bilden, für welche sie mitverantwortlich sind. (Die Erde ist uns anvertraut. Eine ökologische Spiritualität, Kevalaer: Butzon & Bercker 2010, S. 43)
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Konvivialität
Wie buen vivir geht auch der Begriff konvivial/Konvivialität auf das lateinische vivere zurück und bedeutet: „im Zusammenleben“ oder „im Gemeinsamen lebend“.
Ivan Illich hat 1973 ein Buch mit dem Titel Tools for Conviviality veröffentlicht. Illich geht es in diesem Buch um „eine politische Kritik der Technik“, und er verwendet den Begriff konvivial (überraschenderweise) für Werkzeuge des Menschen, die, wenn sie konvivial sind, seine persönliche Energie „schützen, garantieren und fördern“ (S. 33). Werkzeuge im weitesten Sinne sind z.B. ein Besen, ein Kugelschreiber, ein Motor, ein Fernsehgerät oder ein Elektrizitätswerk (vgl. S. 50).
„Die Technik des Alphabets und die des Druckens sind nahezu ideal konvivial. Jeder oder fast jeder kann ihre Handhabung lernen und sie zu seinen eigenen Zwecken benutzen. […] Sie sind von Dritten nur schwer zu kontrollieren.“ (S. 118)
Nicht konvivial ist z. B. eine Fabrik, in der der Arbeiter „einen Autoreifen ins kochende Schwefelsäurebad taucht“ und diesen „ermüdenden Handgriff bei jedem Ächzen der Maschine ausführen [muß]“. „Er ist wahrlich an die Maschine gefesselt“ (S. 71).
Illichs Vision ist eine so gestaltete Organisation von Wissenschaft, Werkzeugnutzung und Gesellschaft, „daß schließlich eine dauerhafte Erholung der Person und der Gruppe und der Umwelt, eine vollkommene Entfaltung der Initiative und der Phantasie eines jeden erreicht würde“ (S. 73).
Obwohl Illich primär die lebens- und entfaltungsfreundlichen Werkzeuge des Menschen als konvivial bezeichnet, könnte man in seinem Sinne formulieren, dass sie einen essentiellen Beitrag zum Ideal einer allgemeinen Konvivialität leisten. Konvivial wären dann nicht allein die Werkzeuge und Institutionen für den Menschen, sondern die Mitwelt für die Menschen, die Menschen für die Mitwelt, seien es Tiere, Pflanzen oder Ökosysteme.
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Konvivialismus
2013 wurde das erste Manifest des Konvivialismus veröffentlicht. Es war von 64 überwiegend französischen Intellektuellen verfasst bzw. unterzeichnet worden und entwarf die „Umrisse einer post-neoliberalen politischen Philosophie“ (Adloff, Frank; Costa, Sérgio, Das zweite konvivialistische Manifest. Für eine post-neoliberale Welt, Bielefeld 2020, S. 15). Konvivialismus verstanden die Autoren als „Philosophie der Kunst des Zusammenlebens“ (S. 16). Allerdings stand im Zentrum das menschliche Zusammenleben und die Kritik am Finanzkapitalismus und an der wachsenden sozialen und wirtschaftlichen Ungleichheit. Das zweite konvivialistische Manifest aus dem Jahre 2020 hat nun das Prinzip der gemeinsamen Natürlichkeit ergänzt und sogar an den Anfang gestellt. Es umfasst damit 5 Prinzipien:
„die Prinzipien der gemeinsamen Natürlichkeit,
der gemeinsamen Menschheit,
der gemeinsamen Sozialität,
der legitimen Individuation und
des schöpferischen Konflikts.
Diese fünf Prinzipien unterliegen dem absoluten Gebot, die Hybris zu beherrschen.“ (S. 40)
Tatsächlich ist der Begriff der Konvivialität wie kaum ein anderer geeignet das Miteinander aller Menschen wie auch aller Lebewesen und damit die sozialen wie die ökologischen Aspekte zu umfassen. Die Klimaerhitzung und die ökologische Krise machen sowohl globale Gerechtigkeitsfragen brisant (Wieviel Treibhausgase dürfen die verschiedenen Länder noch ausstoßen? Wer ist wem zur Hilfe verpflichtet, u. a. aufgrund der bisherigen Belastung der Atmosphäre?), als auch soziale Gerechtigkeitsfragen innerhalb der Staaten und Gesellschaften, da auch hier wenige für den Hauptteil der Emissionen verantwortlich sind.