Zur Neu­schöp­fung eines deut­schen Wor­tes im Ame­ri­ka­ni­schen: Freu­den­freu­de bzw. freu­den­freu­de.

Kürz­lich schrieb in den New York Times Juli Fra­ga einen Arti­kel mit der Überschrift

The Oppo­si­te of Scha­den­freu­de Is Freu­den­freu­de. Here’s How to Cul­ti­va­te It.

In der Süd­deut­schen Zei­tung vom 29.11.2022 wies Mar­tin Zips dar­auf hin, dass die­ses Wort – anders als in dem Arti­kel in sei­ner ers­ten Fas­sung ange­nom­men – im Deut­schen kei­nes­wegs gebräuch­lich ist, da hat­te die New York Times den Feh­ler (am Tag zuvor) bereits korrigiert.

Der ältes­te Beleg für Freu­den­freu­de, den ich fin­den konn­te, stammt aus dem Jahr 2012. Die Psy­cho­lo­gin Cathe­ri­ne Cham­bliss prüf­te in einer Stu­die die Zuver­läs­sig­keit eines 6‑skaligen Tes­tes für das Maß der Nei­gung bzw. Fähig­keit zu Freu­den­freu­de (sie­he unten Freu­den­freu­de in der Psychologie).

Im Inter­net fin­den sich eine Rei­he von Vide­os, die Freu­den­freu­de the­ma­ti­sie­ren. Z. B. hier.

Offen­bar hat sich der deut­sche Begriff Scha­den­freu­de inter­na­tio­nal so sehr eta­bliert, dass sich bei der Suche nach einem Wort für „Sich-Mit­freu­en“ eine deut­sche Neu­schöp­fung nahelegte.

Aller­dings glau­be ich nicht, dass sich im Deut­schen die­ses Wort eta­bliert. Für Eng­lisch Spre­chen­de mag die Ana­lo­gie zu Scha­den­freu­de einen gewis­sen Reiz besit­zen, Deutsch Spre­chen­de stol­pern bereits über das Emp­fin­den, dass es doch Freu­de­freu­de hei­ßen müss­te, denn bei Scha­den­freu­de asso­zi­iert man einen spe­zi­el­len Scha­den (Sin­gu­lar!), wäh­rend Freu­den ganz unspe­zi­fisch sind.

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Das Phänomen

Selt­sam, dass vie­le Spra­chen kein Wort für ein Phä­no­men haben, das wir doch (hof­fent­lich) alle ken­nen: dass wir uns mit einer ande­ren Per­son freu­en über einen Erfolg, ein Geschenk, ein glück­li­ches Ereig­nis, etwa die Geburt eines Kin­des. Viel­leicht ver­steht sich das Mit­freu­en in die­sen Fäl­len von selbst. Wenn es aber aus­bleibt, ist dies ein Zei­chen für Kon­kur­renz oder Neid, für die wir dann sehr wohl Begrif­fe zur Ver­fü­gung haben und im Deut­schen auch für die Scha­den­freu­de, der der Neid oft vorangeht.

Also, wann und mit wem freu­en wir uns mit? Sehr sicher mit unse­ren Kin­dern, wenn ihnen zum ers­ten Mal etwas gelingt und wir uns über und mit ihrer Freu­de freu­en. Auch, wenn sie einen Erfolg im Sport, dem Spie­len eines Musik­in­stru­men­tes haben oder gute Noten bekommen.

Bei ande­ren braucht es neben Empa­thie auch etwas Sym­pa­thie, um sich mit­zu­freu­en. Über den Wahl­sieg der Politiker*innen einer ande­ren Par­tei wer­den wir uns nicht freu­en, über den Erfolg eines Kon­kur­ren­ten auch nicht. Aller­dings bewe­gen wir uns dabei auch im Bereich von Null­sum­men­spie­len: Der Erfolg des einen ist eine Nie­der­la­ge des ande­ren. Aber in vie­len, viel­leicht den meis­ten Lebens­be­rei­chen, herrscht kein Null­sum­men­spiel, son­dern wir kön­nen alle gewin­nen (oder ver­lie­ren). Schon bei Geschwis­tern sind Soli­da­ri­tät und Kon­kur­renz mit­ein­an­der ver­floch­ten. Und die­se Ambi­va­lenz spielt wohl auch bei Freun­din­nen oder Freun­den oft mit.

Mit­freu­en, also Freu­den­freu­de tritt am klars­ten dann zuta­ge, wenn

  • ein Außen­sei­ter gewinnt („David gegen Goliath“)
  • ein Benach­tei­lig­ter Erfolg hat
  • ein Mensch (oder Tier) aus Gefahr geret­tet wird oder
  • aus Gefan­gen­schaft befreit wird.

Die Kin­der­bü­cher sind voll davon und auch die Mär­chen, den­ken wir an Ander­sens Kunst­mär­chen Das häss­li­che Ent­lein oder an Aschen­put­tel.

Hier wird das Glück, der Erfolg etc. als gerech­ter Aus­gleich emp­fun­den und in Fil­men oder Büchern kann uns so etwas zu Trä­nen rühren.

Inter­es­sant wird es, wenn Freu­den­freu­de sich nicht beschrän­ken soll auf die eige­nen Kin­der, Freund*innen oder Außen­sei­ter. Ist es mög­lich, ein gene­ra­li­sier­tes Gefühl der Mit­freu­de an jedem Wohl­erge­hen, das uns begeg­net, zu kul­ti­vie­ren? Mit jedem glück­lich Geflüch­te­ten z. B.?

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Freudenfreude im Buddhismus

In Kul­tu­ren, die sehr wohl ein Wort für Freu­den­freu­de haben, scheint die Refle­xi­on tie­fer zu gehen. So benennt der Bud­dhis­mus den drit­ten der vier gött­li­chen Ver­weil­zu­stän­de (brah­ma­vi­hārās) als muditā:

  1. Met­tā (Güte, Liebe)
  2. Karu­na (Mit­ge­fühl, Erbarmen)
  3. Mudi­tā (Mit­freu­de)
  4. Upekkhā (Gleich­mut).

Mudi­tā hat einen eige­nen Wiki­pe­dia-Arti­kel. Die­ser ver­weist auf die Aus­le­gung des Gelehr­ten des Ther­ava­da-Bud­dhis­mus Bha­dan­tā­ca­ri­ya Bud­dha­g­ho­sa, der in Visud­dhi Mag­ga IX, 5 (5. Jhdt.) erläu­ter­te:

Das Merk­mal der Mit­freu­de besteht im Sich­freu­en (mit den Wesen …), ihr Wesen im Nicht­be­n­ei­den, ihre Äuße­rung in Ver­trei­bung der Unlust, ihre Grund­la­ge im Erken­nen des Glücks­zu­stan­des der Wesen, ihr Erfolg in Auf­he­bung der Unlust …

Es ist deut­lich, dass mudi­tā auf eine Hal­tung des Wohl­wol­lens allen Wesen gegen­über zielt, wobei vor­aus­ge­setzt wird, dass dazu ein spi­ri­tu­el­ler Weg beschrit­ten wer­den muss:

[Man] beschrän­ke … sich zuerst auf eine ein­zi­ge Behau­sung [Wohn­haus] und ent­fal­te die Güte zu den dort woh­nen­den Wesen, in der Wei­se: ‚Mögen die Wesen in die­ser Behau­sung, frei sein von Haß usw.!‘ Hat man dar­auf sei­nen Geist weich und geschmei­dig gemacht, so umfas­se man zwei Behau­sun­gen und dann, der Rei­he nach, drei, vier, fünf, sechs, sie­ben, acht, neun und zehn Behau­sun­gen, dann eine Stra­ße, ein hal­bes Dorf, ein gan­zes Dorf, eine Gegend, ein Land, eine Him­mels­rich­tung. Und indem man so eine Welt­sphä­re oder ein noch grö­ße­res Gebiet umfas­se, ent­fal­te man die Güte zu den jedes­mal dort leben­den Wesen. In der­sel­ben Wei­se sind das Mit­leid und die übri­gen Gött­li­chen Ver­wei­lungs­zu­stän­de zu ent­fal­ten. Dies ist die Metho­de, wie man das Vor­stel­lungs­ob­jekt ausweitet.

Sehr schön wird hier eine Form der „Aus­wei­tung“ beschrie­ben, eine Erwei­te­rung der mora­lisch rele­van­ten Wesen über die Wir­grup­pe hin­aus. Allein dadurch wird Moral zur Ethik.

Auch für Albert Schweit­zer umfasst sei­ne Ethik der „Ehr­furcht vor dem Leben“ neben Lie­be und Hin­ga­be, Mit­lei­den und Mit­freu­de in sich. Bezeich­nen­der­wei­se tritt aber nicht Gleich­mut, son­dern Mit­stre­ben hin­zu. (Aus mei­nem Leben und Den­ken, in: Aus­ge­wähl­te Wer­ke in fünf Bän­den, Bd. 1 S. 171).

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Freudenfreude in der Psychologie

Juli Fra­ga, die den genann­ten Arti­kel in der New York Times geschrie­ben hat, ist selbst Psy­cho­lo­gin und u. a. auf die Behand­lung von Depres­sio­nen spe­zia­li­siert (Juli Fra­gas Home­page). Und ihr Unter­ti­tel How to Cul­ti­va­te it zeigt, dass sie die Kul­ti­vie­rung von Freu­den­freu­de sowohl für wün­schens­wert als auch für hilf­reich hält. Eine Fol­ge des Mit­freu­ens mit jeman­dem ist sicher die Stär­kung der Bezie­hung. Wenn wir uns etwa fra­gen, wie wir zu Men­schen ste­hen, die sich in der Ver­gan­gen­heit ohne Wenn und Aber mit uns gefreut haben, dann lau­tet die Ant­wort wahr­schein­lich: erfreut.

Juli Fra­ga nimmt damit die For­schun­gen von Cathe­ri­ne Cham­bliss auf, die bereits 2012 kon­sta­tier­te, dass leicht depres­si­ve Per­so­nen weni­ger Freu­den­freu­de und mehr Scha­den­freu­de emp­fin­den als nicht-depres­si­ve Men­schen. Inso­fern depres­si­ve Ten­den­zen mit dem Gefühl der Unzu­läng­lich­keit ver­bun­den sind, erscheint die­ses Ergeb­nis intui­tiv ein­leuch­tend: Der Erfolg der Ande­ren ver­stärkt das eige­ne Gefühl des Unge­nü­gens. Eine wei­te­re Ver­öf­fent­li­chung von Cham­bliss ist im Netz ver­füg­bar. Dar­in the­ma­ti­siert sie die Bedeu­tung der Freu­den­freu­de für sta­bi­le Bezie­hun­gen und ist opti­mis­tisch, dass ein Freu­den­freu­de Enhance­ment Trai­ning mög­lich ist.

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Mitfreuen aus evolutionärer Sicht

Die geteil­te Freu­de erhöht die Freu­de und vor allem den Zusam­men­halt. Dies nicht nur in der Zwei­er­be­zie­hung, in der sie die Rezi­pro­zi­tät stärkt, son­dern auch in der Grup­pe. Erfolg­rei­che Koope­ra­ti­on in der Grup­pe aber war eines der Erfolgs­re­zep­te von Homo sapi­ens.

Dass sich Eltern mit ihren Kin­dern freu­en, lässt sich leicht durch das Kon­zept der inklu­si­ven Fit­ness deu­ten, Kon­kur­renz wäre nach­tei­lig, was nicht bedeu­tet, dass sie nicht kul­tu­rell und psy­cho­so­zi­al­be­dingt vorkommt.

Da sich aber auch z. B. Trainer*innen über die Erfol­ge der von ihnen Betreu­ten (in aller Regel) mit­freu­en, könn­te auch bei Eltern eine Rol­le spie­len, dass es ihr Selbst­be­wusst­sein stärkt, wenn ihren Kin­dern etwas gelingt. Sie kön­nen es sich schließ­lich auch selbst zuschrei­ben. Die Nei­gung zur Mit­freu­de wirkt in die­sem Fall  motivationsverstärkend.

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Mitfreuen und Schadenfreude

Mit­freu­de steht im Bud­dhis­mus und in der heu­ti­gen Psy­cho­lo­gie im Kon­text Spi­ri­tua­li­tät, Lebens­glück und Persönlichkeitsentwicklung.

Scha­den­freu­de ist bri­san­ter. Sie taucht blitz­ar­tig auf, wenn jeman­dem ein Miss­ge­schick oder Unglück geschieht, den man zuvor als anma­ßend, über­mä­ßig begüns­tigt oder auch betrü­ge­risch emp­fun­den hat. Man erfreut sich gleich­sam einer »Bestra­fung« durch höhe­re Gewalt. Des­halb ruft das Erlei­den kein Mit­leid, son­dern Genug­tu­ung her­vor. Die evo­lu­tio­nä­re Erklä­rung ist nahe­lie­gend: Ver­ge­hen und Anma­ßun­gen kön­nen bzw. soll­ten nicht tole­riert wer­den, denn sie gefähr­den den Zusam­men­halt und das eige­ne Wohl­erge­hen. Gerech­tig­keits­in­tui­tio­nen set­zen sich hier gegen Nei­gun­gen zum Mit­ge­fühl durch. Wie wun­der­bar, dass man nicht selbst ein­schrei­ten muss­te, son­dern die gerech­te Stra­fe sich von selbst ein­stell­te oder vom Him­mel fiel. Aber eine sol­che Scha­den­freu­de steht im Wider­spruch zum uni­ver­sel­len Mit­ge­fühl, das aus ethi­scher Sicht gebo­ten erscheint. Dar­aus ergibt sich eine inter­es­san­te Spannung.