Wölfe und Bären in Deutschland? Ethische Aspekte
Fragen der Tierethik und des Artenschutzes sind wahrscheinlich deshalb so strittig, weil wir mit unseren natürlichen moralischen Intuitionen in der Tierethik nicht sehr weit kommen.
Moralische Intuitionen
Klar, wir können auch gegenüber Tieren Mitgefühl empfinden,
uns kann auch im Blick auf das Ergehen von Tieren (sei es im Zoo, sei es bei der Jagd) ein Empfinden von Ungerechtigkeit ereilen,
Haustiere schließen wir in unser Wirgefühl und damit unsere Solidarität ein,
und ein Freiheitsstreben mögen wir auch Tieren gönnen und uns bei Wildtieren (und Hauskatzen) daran erfreuen,
aber alle diese Emotionen haben ihren eigentlichen Platz im Zusammenleben der Menschen (in der Gruppe). Und so war die Geschichte der Ausbreitung von Homo sapiens über diese Erde regelhaft nicht nur mit der Tötung von Tieren, sondern auch mit der Verdrängung und Ausrottung von Arten verbunden.
Dies zeigt, dass die genannten moralischen Intuitionen im Blick auf Tiere sehr fragil sind.
Menschliche Risikoeinschätzung
Bei den großen „Beutegreifern“ – um das abwertende Wort „Raubtier“ zu vermeiden – kommt noch ein weiterer Faktor hinzu, der sich in der Emotionalität der Diskussion über die Rückkehr von Wolf und (vielleicht) Bär spiegelt:
In Menschen sind evolutionär tief verankerte Mechanismen wirksam, die schnelle und emotionale Risikoeinschätzungen liefern. Vor einer von Menschen oder Tieren ausgehenden Gefahr muss man sich nicht nur in Sicherheit bringen – wie vor einem umstürzenden Baum oder einer Flut –, sondern sich aktiv wehren bzw. kämpfen, wobei ein Gefühl der Aggression hilft. Dies dürfte mit ein Grund sein, weshalb das Töten von potenziell gefährlichen Tieren uns Menschen so naheliegt. Warum sonst wäre auch die Gefährdung durch Technologie für uns so viel akzeptabler als die Gefährdung durch die nicht-menschliche Natur?
Vermutlich überrascht es angesichts dieser Gefühlslage und der entsprechenden hitzigen Diskussion, dass es in Europa (einschließlich Slowenien, Nordspanien etc.) in den letzten 20 Jahren nicht einen Todesfall aufgrund von Wolfsangriffen gegeben hat, nachdem es in Europa (anders als z. B. in Iran und Indien) keine Tollwut unter Wölfen mehr gibt. Denn die weit überwiegende Zahl der weltweit bekannten Angriffe von Wölfen gehen von infizierten Tieren aus. Wir überschätzen intuitiv die Gefahr durch Wölfe.
Vgl. den NINA-Report von 2021.
Ethische Aspekte
Ethisch geboten ist also zunächst die Aufklärung über die relative Harmlosigkeit der Wölfe im Blick auf den Menschen, gleichzeitig natürlich Vorsorge (kein Anlocken, kein Nahrungsangebot) und Beobachtung der Entwicklung.
Weitaus begründeter sind die Sorgen um Weidetiere. Solange es um überschaubare finanzielle Mittel geht, mit deren Hilfe Weidetiere durch Zäune, Schutzhunde oder Esel recht gut geschützt werden können, dürfte auch hier die moralisch-ethische Bewertung klar sein: Es wäre inakzeptabel, am hohen Schutzstatus von Wölfen zu rütteln, vielmehr sind die Tierhalter entsprechend zu unterstützen.
Ein echtes Dilemma entsteht allerdings, wenn unter besonderen Gegebenheiten der Aufwand des Herdenschutzes ins Uferlose wächst, wie es bei einem Teil der Almbeweidung der Fall sein wird. Muss die Beweidung tatsächlich aufgegeben werden, würde dies auch den Verlust einer artenreichen Kulturlandschaft bedeuten, denn die Verbuschung und Bewaldung wäre unaufhaltsam. Dies ist ein echtes Dilemma, das aber nicht durch die erneute Ausrottung der Wölfe, gelöst, sondern im fachlichen Diskurs durch einen Kompromiss zwischen Sicherung und Rückzug der Weidetierhaltung entschärft werden sollte.
Folgende ethische Gesichtspunkte sind zu reflektieren:
- Wir schulden dem mit uns verwandten Ganzen und seinen Hervorbringungen Respekt (so Hans Jonas in seinem Prinzip Verantwortung).
- Wir können nur erschrecken über das Ausmaß der uns zugewachsenen Machtfülle und der bisherigen Naturzerstörung und uns einüben in ein Staunen über die Vielfalt der außermenschlichen Lebensformen und der Komplexität der Ökosysteme, in denen sie (und wir) leben.
- Ein solches Staunen legt zumindest den Gedanken nahe, dass es gut ist, wenn diese Wesen als Art bestehen und sich entfalten können.
- Wie brauchen eine Besinnung und neue Achtsamkeit für die Mitgeschöpfe. Konvivialität könnte hier ein hilfreicher Begriff sein: Bejahen des Zusammenlebens.
Dazu einige Anmerkungen:
- Wir schulden dem mit uns verwandten Ganzen und seinen Hervorbringungen Respekt.
Wir verdanken unsere Existenz einer schöpferischen Evolution, die auch zunehmend komplexere Organismen hervorgebracht hat, zu denen wir selbst als Menschen uns rechnen können.
Unversehens sind wir damit in eine Machtposition und damit Verantwortung gelangt, die fragen lässt, ob und wieviel Raum wir der außermenschlichen Natur lassen wollen, ja, ob wir anderen Lebewesen die schiere Existenz zugestehen. Dabei ist zu beachten, dass jede Population nicht für sich lebt, sondern in komplexen Ökosystemen. Eine egoistisch-anthropozentrische Betrachtungsweise würde nun den anderen Arten und ihren Individuen so viel Raum zugestehen wie für die eigene Existenz benötigt wird, was natürlich mit einer riskanten Kalkulation verbunden ist: Man denke an das unbeabsichtigte Verschwinden natürlicher Bestäuber. Hans Jonas hat darum für eine „Heuristik der Furcht“ (S. 392) plädiert. Damit meinte er, dass wir die für die Menschheit bedrohlichen Folgen unserer technologischen Zivilisation aufspüren und analysieren müssen, um nicht das Überleben der Menschheit (zusätzlich bzw. weiterhin) zu gefährden.
Er hat aber diese anthropozentrische Sicht selbst deutlich überschritten, indem er die Macht über das mit uns verwandte Ganze und seinen Hervorbringungen strikt mit der Treue zu dieser Verwandtschaft und mit der Verantwortung für sie verband. - Wir können nur erschrecken über das Ausmaß der uns zugewachsenen Machtfülle und der bisherigen Naturzerstörung und uns einüben in ein Staunen über die Vielfalt der außermenschlichen Lebensformen und der Komplexität der Ökosysteme, in denen sie (und wir) leben. Martha Nussbaum hat in ihrem neuen Buch Gerechtigkeit für Tiere (Darmstadt 2023) diese Emotion des Staunens thematisiert und schreibt ihr eine große Rolle für die Haltung gegenüber den Tieren zu:
Mit meinen Beschreibungen habe ich versucht, ein Gefühl des moralisch gestimmten Staunens zu wecken, das zu einem moralisch ausgerichteten Mitgefühl führen kann, wenn das Streben von Tieren zu Unrecht vereitelt wird, und zu einer vorausschauenden Empörung, die sagt: ‚Das ist inakzeptabel. Das darf sich nicht wiederholen.‘ (S. 33)
- Ein solches Staunen legt zumindest den Gedanken nahe, dass es gut ist, wenn diese Wesen als Art bestehen und als Individuen sich entfalten können. Dies ist der Grundgedanke des capability approach, des sogen. Fähigkeitenansatzes von Martha Nussbaum.
- Wie brauchen eine Besinnung und neuen Achtsamkeit für die Mitgeschöpfe. Konvivialität könnte hier ein hilfreicher Begriff sein: Bejahen des Zusammenlebens.