Das Klima – ethisch betrachtet
Ein neues Wort für eine neue Herausforderung
Sind schon Bioethik, Medizinethik und Ökologische Ethik relativ neue Begriffe, die erst seit 1970 in rasch zunehmender Häufigkeit gebraucht werden, so kann Klimaethik als letzte Neuentwicklung gelten.
Google Books Ngram Viewer gibt die Möglichkeit, die relative Häufigkeit von Wörtern in den erfassten Büchern darzustellen. Hier sind es: Bioethik (grün), Medizinethik (blau) und Ökologische Ethik (rot). Sie tauchen um 1975 „aus dem Nichts“ auf.
Und hier folgt Klimaethik:
Achtung: Diese Grafiken sind nicht unmittelbar zu vergleichen: Bioethik wird 20–30 mal häufiger verwendet als Klimaethik. Es kommt mir nur auf die Dynamik der Entwicklung an.
Frappierend ist auch der Vergleich zwischen Ökologischer Ethik (blau) und Klimaethik (rot):
Klimaethik beginnt Ökologische Ethik zu überflügeln (in der relativen Häufigkeit aller Wörter in Büchern, die von Google Books erfasst wurden). Ein ähnlicher Befund zeigt sich auch beim Vergleich von Artenschutz und Klimaschutz. Seit 1996 überflügelt Klimaschutz bei weitem Artenschutz.
Es drohen mit der Dominanz des Klimathemas andere wichtige Problembereiche wie Biodiversität, chemische Belastung, biogeochemische Kreisläufe, Landnutzungsänderungen, Aerosolbelastung in der öffentlichen Diskussion an den Rand gedrängt zu werden.
Klimaethik – eine kognitive Angelegenheit?
Fragen wir gemäß dem Leitmotiv dieser Internetseite zu Anthropologie und Ethik, ob uns moralische Intuitionen bei der Entfaltung einer Klimaethik unterstützen oder hindern können, so ist zunächst klar: über den menschenverursachten Klimawandel erfahren wir nur etwas über verstehendes Begreifen der Zusammenhänge: Die Freisetzung von CO2 durch die Verbrennung fossiler Energieträger oder durch die Trockenlegung von Mooren und anderes führt zur Erderwärmung, weil an Treibhausgasen wie CO2, Methan etc. die Wärmestrahlung, die von der Erde ausgeht, reflektiert wird (so wie auch bei einem bewölkten Himmel des Nachts). Die Temperaturerhöhung wiederum führt zu einem Meeresspiegelanstieg mit mehr Überschwemmungen, zu energiereicheren Stürmen, zu ergiebigeren Regenfällen, zu mehr Hitzewellen mit Todesfällen, zu mehr Bränden etc. So weit – so kognitiv.
Wenn man jedoch ein Einzelereignis nimmt – wie die Überflutungen im Ahrtal -, das mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit auf die Klimaveränderungen zurückzuführen ist, dann tauchen natürlich unsere spontanen moralischen Reaktionen auf, sobald man sich die vorhergesagten Wirkungen vorstellt: Mitgefühl, der Sinn für Gerechtigkeit (es hätte auch mich treffen können) und die spontane Solidarität und Hilfsbereitschaft – die drei ersten der moralischen Intuitionen. Sodann frage ich mich, ob ich denn meine Freiheit (4. Intuition) wirklich durch diese emotionale Reaktion beschneiden lassen will und wende mich (hoffentlich) hilfesuchend an das verfügbare Wissen (6. Intuition), um zu klären, wie groß die Gefahren sind und was angesichts dieser Lage zu tun ist.
Auch in der Klimaethik finden wir die interessante Verschränkung von moralischen Intuitionen. Wir können kaum vermeiden, es als ungerecht zu empfinden, wenn die jüngere Generation unter den Folgen unseres unreflektierten Lebenswandels zu leiden (Mitgefühl) haben wird. Interessanterweise hat aber das Bundesverfassungsgericht ausgerechnet den Begriff Freiheit in den Mittelpunkt gestellt, allerdings nicht die Freiheit, mit beliebiger Geschwindigkeit über die Autobahn zu rasen, sondern die Freiheitsrechte der „zum Teil noch recht jungen Beschwerdeführenden“.
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts
Vorschriften, die jetzt CO2-Emissionen zulassen, begründen eine unumkehrbar angelegte rechtliche Gefährdung künftiger Freiheit …
Ein umfangreicher Verbrauch des CO2-Budgets schon bis 2030 verschärft … das Risiko schwerwiegender Freiheitseinbußen, weil damit die Zeitspanne für technische und soziale Entwicklungen knapper wird, mit deren Hilfe die Umstellung von der heute noch umfassend mit CO2-Emissionen verbundenen Lebensweise auf klimaneutrale Verhaltensweisen freiheitsschonend vollzogen werden könnte. (Pressemitteilungen Nr. 31/2021 vom 29. April 2021)
Dem Bundesverfassungsgericht geht es also nicht global um die Freiheit künftiger Generationen, sondern um die unverhältnismäßig ansteigenden Belastungen für die deutsche Gesellschaft, wenn sie – rechtlich gebunden – noch rechtzeitig die gemachten Zusagen einhalten will.
Es darf nicht
einer Generation zugestanden werden, unter vergleichsweise milder Reduktionslast große Teile des CO2-Budgets zu verbrauchen, wenn damit zugleich den nachfolgenden Generationen eine radikale Reduktionslast überlassen und deren Leben umfassenden Freiheitseinbußen ausgesetzt würde.
Die Rede von nachfolgenden Generationen mutet seltsam an, wenn es um die „Reduktionslast“ geht, die ja bereits bis 2050 oder 2045 oder noch früher vollzogen sein soll. Überwiegend ist also diese künftig belastete Generation bereits geboren. Die tatsächlich nachfolgenden Generationen werden nicht von der Reduktionslast betroffen sein, sondern von den Folgen der Klimaveränderungen, die durch ihre Trägheit ihnen auf unabsehbare Zeit noch zu schaffen machen werden. Nun findet sich auch eine grundsätzlichere Formulierung im Urteil:
Auch der objektivrechtliche Schutzauftrag des Art. 20a GG schließt die Notwendigkeit ein, mit den natürlichen Lebensgrundlagen so sorgsam umzugehen und sie der Nachwelt in solchem Zustand zu hinterlassen, dass nachfolgende Generationen diese nicht nur um den Preis radikaler eigener Enthaltsamkeit weiter bewahren könnten.
Geht es hier um Enthaltsamkeit? Und nicht um konkretes Leiden, hervorgerufen durch Überschwemmungen, Stürme, Hitzewellen und Brände?
Gibt es nur ein Alles oder Nichts bei der Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen? Sind sie nicht bereits jetzt geschwächt?
Wenn das BVG die natürlichen Lebensgrundlagen als schützenswert betrachtet, hat dies nicht Konsequenzen für den juristischen Schutz von Biodiversität, Bodenerhalt etc.?
Loyalität gegenüber künftigen Generationen?
Die Solidarität mit den Flutopfern ließ sich problemlos abrufen. Menschen sind solidarisch – wenn ihnen die Not vor Augen steht, wenn wir die Opfer zu uns rechnen, wenn über die unverschuldeten Ursachen kein Zweifel herrscht. Diese gravierenden Einschränkungen hat die sozialpsychologische Forschung konstatieren müssen, vermutlich nicht zu unserer Überraschung.
Nicht nur im Raum, sondern auch in der Zeit unsere Solidarbereitschaft zu erweitern, stellt uns vor eine große Herausforderung. Vielleicht kann dies nur gehen über eine Liebe zum Leben überhaupt, eine tiefe Wertschätzung für den blauen Planeten, ein Staunen über die Komplexität der Ökosysteme und der Biosphäre – und den Wunsch, dass noch viele Mitmenschen dies erleben mögen.
Gerechte Verteilung des CO2-Budgets?
Wie im Beitrag zum Gerechtigkeitsbegriff mit Bezug auf Amartya Sen ausgeführt wurde, gibt es bei Gerechtigkeitsfragen in der Regel keine eindeutige ethische Einschätzung, weil berechtigte Kriterien miteinander konkurrieren und es darum um eine Abwägung geht. Sehr oft spielen die Aspekte der Gleichheit, der Leistung und der Bedürftigkeit eine zentrale Rolle.
Soll eine Erderwärmung von 1,75° C mit 67%iger Wahrscheinlichkeit erreicht werden, so stehen nach Berechnungen des IPCC von 2018 noch 800 Gt CO2 zur Verfügung, ab 2018. Rechnet man aber als maßgeblichen Zeitpunkt das Pariser Klimaschutzabkommen, so sind es 882 Gt.
Wie aber sollen diese im Interesse der Klimagerechtigkeit verteilt werden?
Ein Kriterium wäre die Gleichverteilung. Diese könnte sich auf das Restbudget beziehen. Dies könnte pro Person berechnet werden, so dass man den Ländern je nach Bevölkerungszahl ein Budget zuteilen könnte. Der Sachverständigenrat für Umweltfragen hielt diese Verteilung für plausibel und hat eine Berechnung durchgeführt (Für eine entschlossene Umweltpolitik in Deutschland und Europa. Umweltgutachten 2020, S. 54).
Für Deutschland mit 1,1% der Weltbevölkerung errechnen sich 9,7 Gt CO2 ab 2016 und 6,7 Gt ab 2020. Bei derzeitigem CO2-Ausstoß wäre das Budget also 2026 verbraucht, bei linearer Reduktion im Jahr 2038.
Ist es fair, wenn für Deutschland dieses Budget zum Maßstab gemacht wird?
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 24. März 2021 – 1 BvR 2656/18 -, Rn. 1–270, http://www.bverfg.de/e/rs20210324_1bvr265618.html) bejaht diese Frage bei allen Unwägbarkeiten, die mit der Berechnung verbunden sind. Schließlich sei das Ziel von 1,75 °C „nicht übermäßig streng bestimmt“ (S. 98). Und im Blick auf das internationale Klimaschutzziel „muss der dafür zu leistende deutsche Beitrag in einer Weise bestimmt werden, die wechselseitiges Vertrauen der Vertragspartner in den Realisierungswillen fördert, nicht aber Anreize setzt, diese zu unterlaufen“ (S. 95).
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